„Das Netz macht heute viel Neues möglich"

Von Claudia Wohlert

Das Wort Content, übersetzt Inhalt, ist seit Bestehen des World Wide Web fester Bestandteil der deutschen Sprache. Um diesen Begriff dreht sich seit 2014 alles bei Google. In dem Jahr bekam Google das Patent, die Qualität von Inhalten auf einer Webseite algorithmisch zu bestimmen. Es geht nicht mehr darum, bestimmte Keywords so oft wie möglich zu benutzen, sondern Google fordert von jeder Webseite für den User wichtige Inhalte. Aber welcher Inhalt ist wichtig? Einer, der es wissen muss, ist Christian Tembrink, Geschäftsführer der Online Marketing Agentur netspirits. Im Gespräch mit Claudia Wohlert gibt er Antworten auf Fragen, wie man sich zum Beispiel an die Bedürfnisse der User herantastet, um entsprechenden Content zu liefern.

Fundraising-Echo: Warum ist es so wichtig, Content auf die Webseite zu bringen?

NetspiritChristian Tembrink kennt sich mit dem Suchverhalten im Internet aus.
Foto: © netspirits
Christian Tembrink: Inhalte von Unternehmen oder Organisationen dienen dazu, sie darzustellen und Waren zu verkaufen beziehungsweise Spenden zu generieren. In der digitalen Welt wird nach wie vor mit viel Text gearbeitet, um die Besucher von Werten zu überzeugen oder den Mehrwert der angebotenen Produkte für den Leser zu preisen. Idealerweise begleitet der Inhalt den Kaufentscheidungsprozess des Rezipienten.

Ein Auslöser für eine Suche im Internet kann zum Beispiel sein, dass jemand aus der Kirche austritt und das Geld anders ausgeben möchte. Und genau da versucht eine Organisation mit Inhalten einen Nutzer gut abzuholen. Die NPO geht auf seine Probleme ein, unterstützt ihn idealerweise dabei, eine valide Entscheidung zu treffen, und schlägt das eigene Produkt als gute Lösung vor.

Fundraising-Echo: Und dieser Prozess passiert überwiegend textlich?

Christian Tembrink: Viele Unternehmen und Organisationen sind immer noch sehr vertrieblich im Netz unterwegs. Sie bieten eine Ware in Blau, Grün oder Rot an und meinen, der Nutzer brauche sich nur entscheiden. Einen guten Verkäufer macht aber sehr viel mehr aus. Der drückt mir nicht als erstes das MacBook in die Hand und sagt: Kauf das! Er fragt vielmehr: Wozu brauchen Sie den Computer? Wie gut kennen Sie sich mit Computern aus? Da findet Beratung statt. Die Herausforderung im Internet besteht darin, Kommunikation am Bedürfnis des Kunden auszurichten und nicht marktschreierisch nur das eigene Produkt „toll“ darzustellen. 

Fundraising-Echo: Wie sollten Ihrer Meinung nach NPOs im Netz agieren?

Christian Tembrink: Im Prinzip ist es das Gleiche wie im Profitbereich. Es gibt einen Auslöser. Das kann unter anderem der Austritt aus der Kirche sein, oder dass ich für mich den Anspruch habe, die Welt zu verbessern. Also fange ich an, mich zu informieren, welche Möglichkeiten bestehen, die Kirchensteuer alternativ einzusetzen. In dem Moment existiert noch nicht die Lösung, dass eine Patenschaft oder eine Spende an ein afrikanisches Krankenhaus am besten ist. Als allererstes will ich etwas lernen. Welche Möglichkeiten, welche Handlungsspielräume habe ich? Da gehe ich nicht direkt auf UNICEF zu und spende. Nur wenn ich die Marke bereits länger kenne und von deren Arbeit überzeugt bin, spende ich sofort. Aber normalerweise will ich mir erst einmal eine Meinung bilden und zwar über eine Suchmaschine wie Google.

Fundraising-Echo: Dann kann ich durch guten Content auch Besucher auf meine Seite locken, die nicht direkt den Namen der NPO eingeben?

Christian Tembrink: Absolut. Ein Fall aus meiner Praxis hat das gezeigt. Vor eineinhalb Jahren habe ich action medeor genau dabei unterstützt. Der Wunsch war, dass die Organisation mit der Webseite angezeigt werden sollte, wenn jemand „spenden online“ oder „spenden für einen guten Zweck“ eingibt. Bei diesen üblichen Begriffen ist der Markt gesättigt. Es existieren viele NPOs, die dazu passen und mit entsprechendem Budget unterwegs sind. Also haben wir versucht weiterzudenken. Die Frage lautete: Wie finden wir eine Nische? Was passiert überhaupt, bevor ich weiß, dass ich online Geld spenden will? Und gibt es bei Google einen Indikator, um Menschen, die aus ideellen Gründen aus der Kirche austreten, zu identifizieren?

Über verschiedene Tools haben wir herausgefunden, was diese Menschen bei Google eingeben. Es war ungefähr „Kirchensteuer Alternative“. Die anschließend aufgelisteten Webseiten beantworteten diese Frage weder inhaltlich, noch rational beziehungsweise emotional.

Und genau über diesen Weg: Was beschäftigt meine Zielgruppe? Was sind Auslöser für die Suche?, muss man gehen. Der Inhalt solch einer Webseite muss rational passen und am Ende eine Lösung bieten, die nah am eigenen Angebot ist. Mit einem freundlichen, sympathischen Inhalt aus Text, Bild und idealerweise noch mit einem Bewegbild holt man den User gut ab.

Fundraising-Echo: Welche Faktoren sollte ich berücksichtigen, wenn ich meine Webseite für Spenden aufbaue?

Christian Tembrink: Auf jeden Fall sollte sie komfortabel, sympathisch, informativ, serviceorientiert und kompetent sein. Das sind die Grundvoraussetzungen, damit der User sich meine Webseite ansieht. Daneben sollte ich aber auch genau überlegen: Wie kann ich den User emotional erreichen? Wie kann ich den Menschen berühren? Dann kommen wir weg von der rein rationalen Seite, wie baue ich einen Text auf, hin zur emotionalen Überlegung, die auch das Format betreffen.

Zum Beispiel ob es sinnvoll ist, 20-zeilige Absätze in Schriftgröße 18 auf meiner Webseite abzubilden. Oder kann ich gewisse Aussagen, Zitate hervorheben. Zitate können in Buttons geschrieben werden. Klickt ein User dieses Zitat an, stimmt er dem Inhalt zu. Zum Beispiel sagt Lisa Mustermann auf der Seite: Geben ist besser als Nehmen. Stimmt der User durch das Anklicken dem Gesagten zu, twittert er automatisch auf seinem Twitteraccount diese Aussage und die Frage: Habt ihr schon mal über ein Patenkind nachgedacht?

Die NPO sollte ihre Webseite webgerechter machen. Wichtig ist: Wie kann ich mediengerechter mit Inhalten im Netz umgehen? Dabei sind Interaktion und Mitmachen wichtige Punkte und zusätzlich muss man ein Format finden, um den User emotional anzusprechen. Bewegbilder transportieren zum Beispiel viel dichtere Emotionen.   

Fundraising-Echo: Um Aufmerksamkeit zu erregen, muss ich mich fokussieren. Was ist dabei das Wichtigste?

Christian Tembrink: Der Fokus für NPOs sollte immer der User sein, der als Spender gewonnen werden soll. Dessen Gedankenwelt ist das Allerwichtigste. Was geht in dem vor? Welche Auslöser kann der erleben? Bleiben wir beim Kirchenaustritt. Was passiert mit dem Menschen? Was tippt er bei Google ein?

Weg aus der Innensicht: Unterstütze jetzt mein Projekt! Hin zu einer Spenderkonzentrierung. Was für Sorgen hat der? Welche Auslöser passieren bei ihm im Leben, die ihn dazu bringen, bei der Suchmaschine nach Lösungen zu suchen? Mit welchen Worten und in welchem situativen Kontext ist die Zielgruppe bei der Suchmaschine unterwegs? Weg von der Angebotskommunikation und hin zu der nutzerzentrierten Kommunikation. Man sollte sich mehr Gedanken darüber machen, wie kann ich mit meinen Inhalten Hilfestellungen geben. Und auch, wie kann ich den User unterhalten, seine Informationsbedürfnisse befriedigen.

Bei der Bestimmung der möglichen Zielgruppe sollte die Organisation weg vom herkömmlichen demografischen Zielgruppenbild, das durch Alter, Herkunft und Einkommen bestimmt ist. Das Netz macht heute viel Neues möglich. Es geht nicht nur um Alter und Herkunft, sondern auch darum: Wie geht es dem User? Was hat er oder sie für Sorgen? Wie ist sein/ihr rationales Bedürfnis und wie intensiv kann die NPO ihn/sie mit Emotionen abholen?

Außerdem sollten technische Möglichkeiten wie Google Analytics genutzt werden. Dort erfahren die NPOs, wo die Nutzer sitzen, über welche Geräte sie auf die Webseite kommen und welche Suchabfragen sie eingeben. Das Netz hilft Annahmen zur Zielgruppe durch harte Zahlen und Daten anzureichern. Weg vom Bauchgefühl, hin zu messbaren Fakten.

Fundraising-Echo: Wenn eine kleine NPO nicht genügend Manpower und Zeit hat, um einen großen Webauftritt zu gestalten, worauf sollte sie sich fokussieren?

Christian Tembrink: Zuerst ergründen, mit welchen Inhalten kann ich meiner Zielgruppe den Bedarf an Informationen, Unterhaltung und Inspiration geben. Der zentrale Fokus ist auf die Webseite zu legen. Mit wenig Zeit und wenig Manpower wäre der allererste Schritt, hart am Inhalt zu arbeiten. Es ist nicht damit getan, in fünf Minuten eine Überschrift zu ändern. Das kann mal Mittel zum Zweck sein, wenn ich in einer Woche nicht mehr Zeit habe. Aber bevor ich mir Gedanken über die Vermarktung des Inhalts mache, fokussiere ich mich auf die Aufbereitung der Inhalte auf der Webseite. Und daran arbeite ich.

Das beginnt mit Thesen aufstellen. Welche Probleme hat die Zielgruppe? Wie könnte ich die Probleme mit meinen Inhalten befriedigen und abholen? Ist meine Annahme richtig, dass ich mit dieser Art des Inhalts, unter anderem durch einen Mix aus Text, Bild und Videos oder Printunterlagen, richtigliege. Ich muss die Interaktionen des Nutzers mit meinen Inhalten messbar machen, zum Beispiel indem ich die Anzahl an Downloads von PDFs oder Checklisten auf meiner Landingpage strukturiert messe. Das ist der erste Schritt. Also Thesen bilden, am Inhalt arbeiten, Thesen messbar machen und verifizieren: Hat mein Ausbau des Artikels oder die zusätzliche Zusammenfassung meines Inhalts über einen Teasertext dafür gesorgt, dass die Menschen länger bleiben? Oder dass sie weiter runterscrollen und sogar wiederkommen? Ich definiere, wen ich womit ansprechen will. Und das Ganze muss messbar sein, damit die Arbeit am Inhalt wirklich Früchte trägt. Das ist ein fortlaufender Prozess, für den Zeit da sein muss.

Fundraising-Echo: Was sollten Ihrer Meinung nach NPOs machen, um erfolgreicher sein?

Christian Tembrink: Sie sollten sich die Frage stellen: Wie hole ich meine Zielgruppe ab? Es herrscht noch viel Innensicht in den Organisationen. Wenn eine NPO mich gut abholt und mir Wege aufzeigt, wie ich meine Kirchensteuer sinnvoll einsetzen kann, erst dann mache ich den zweiten Schritt und gucke, ob sie zertifiziert ist und so weiter. Es ist wichtig, dass die Internettexte die Gedanken und Probleme des Lesers mehr in den Fokus rücken. Außerdem finde ich es schade, dass viele NPOs das Potenzial von Bewegbildern für sich noch gar nicht nutzen. Es gibt NPOs, die vor Ort Bewegbilder machen, aber nur aus der Perspektive: Ich mache Projekt XY und ich bin hier vor Ort. Die reden viel über sich. Auch da mehr den Spender in den Fokus rücken.

Beide Ideen gepaart, den Menschen in den Fokus rücken und gute Bewegbilder ermöglichen Erfolg. Sagt dem Spender nicht, wir haben 5 Gründe, damit du bei uns spendest. Sondern sagt ihm 5 Gründe, warum er sich besser fühlt, wenn er das Video zu Ende guckt.

Nach dem Betriebswirtschaftstudium und ersten beruflichen Stationen im PR-Bereich und Marketing arbeitete Christian Tembrink fünf Jahre als E-Commerce-Projektleiter bei Yello Strom. 2007 gründete er die Online Marketing Agentur netspirits und hilft mit dem knapp 30-köpfigen Expertenteam Unternehmen dabei, das digitale Marketing zukunftsfähig zu machen. Im Non-Profit-Bereich arbeitete er unter anderem für die Welthungerhilfe, Missio, Plan Deutschland und auch German Doctors.
Tel.: 0221 1685 6266, E-Mail: hallo@christian-tembrink.com, https://www.christian-tembrink.com

 

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