„Das A und O ist die Spannung ins Bild zu bekommen“

Von Claudia Wohlert

Authentische Fotos sind aus der täglichen Arbeit von NGOs nicht wegzudenken. Sie sollen den Spender emotional in ihren Bann ziehen, die Arbeit glaubwürdig transportieren und zum Spenden animieren. Aber leider sieht die Realität oft anders aus. Claudia Wohlert klärt im Gespräch mit dem mehrfach ausgezeichneten Fotografen Maurice Ressel, was Vorbereitung, Wohlfühlraum und zeitliche Freiräume mit einem aussagekräftigen Foto zu tun haben.

Fundraising-Echo: Sie kommen ursprünglich aus der Werbefotografie und arbeiten heute ausschließlich im Non-Profit-Bereich, und das sehr erfolgreich. Ihre Bilder wurden mehrfach ausgezeichnet. Warum haben Sie die Stilrichtung gewechselt?

Maurice Ressel: Meine Leidenschaft für die Werbefotografie nahm mit den Jahren ab und ich suchte einen neuen Schaffensbereich, wo meine Energie und Begeisterung wieder frei fließen konnten. Diese beiden Aspekte sind entscheidend, um gute Fotos machen zu können. In dieser Zeit der Neuorientierung war ich für die Hilfsorganisation Skate-aid immer wieder in Afghanistan. Hier reifte der Entschluss, professionell als Fotograf und Fotojournalist für NGOs zu arbeiten. Nach der Entscheidung war es ein Leichtes, sich auf Motive zu fokussieren, die Begeisterung komplett auf das dokumentarische journalistische Fotografieren zu lenken. Ich eignete mir das notwendige Wissen an, praktizierte viel und der Erfolg stellte sich schnell ein. Arbeitet jemand mit Begeisterung und Leidenschaft, kommt der Erfolg von selbst.
Tansania Foto: © Maurice Ressel
Fundraising-Echo: Ein Fotograf benötigt demnach einen Wohlfühlraum, um erfolgreich zu sein?

Maurice Ressel: Die Fotografie als Medium kann in sehr verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt werden. Fotografische Abbildungen mit einem kommerziellen Charakter findet man in der Werbe- und Modebranche, mit einem gesellschaftlich-sozialen Aspekt in der Dokumentation, außerdem werden Fotografien im Journalismus sowie in der Kunst verwendet. Jeder Bereich benötigt besondere Fotografen, die sich in der jeweiligen Szene wohlfühlen. Wenn man seine Angst verliert und seine Begeisterung mitbringt, dann nähert sich der Fotograf den Objekten so stark, dass die Technik keine große Rolle spielt, damit gute Fotos entstehen können.

Fundraising-Echo: GfK-Media-Analysen belegen immer wieder, dass Bilder die stärkste Aufmerksamkeit beim Spender generieren. Gibt es wichtige Punkte, die man bei der Auswahl beachten sollte?

Maurice Ressel: Zuerst einmal sollten die Verantwortlichen in Kontexten denken. Im Endeffekt geht es darum, eine Geschichte zu erzählen, die aus mindestens drei Bildern besteht. Im NGO-Bereich geht es oft um den Menschen und um die Hilfe. Will ich zum Beispiel einen humanitären Einsatz zeigen, geht es zuerst um die Umgebung. Wo sind wir? Was ist passiert? Danach werden die Helfer und die zufriedenen Empfänger gezeigt. Also: Wer bekommt die Hilfe? Was bekommt er für eine Hilfe? Bekommt jemand ein Zelt, zeigt man die Übergabe oder den Bedürftigen im Zelt.
Schafft der Fotograf die ganze Situation in einem Foto zu zeigen, ist es ein gutes Aufhängerfoto für die Sozialen Medien. Das Bild erhält die absolute Aufmerksamkeit des Betrachters.

Fundraising-Echo: In Mailings hat man die Möglichkeit, mehr als drei Bilder zu zeigen. Worauf sollte hier geachtet werden?

Maurice Ressel: In redaktionellen Beiträgen oder einem Mailing ist es wichtig, eine Geschichte zu erzählen. Also nicht bei fünf Bildern vier Portraits und eine Gesamtansicht zeigen. Es muss eine Vielfältigkeit entstehen, und die entsteht nur durch Entfernung und Nähe innerhalb der Bilder. Mit einer Gesamtaufnahme stellt man Entfernung gut dar. Nähe dagegen symbolisieren zum Beispiel Hände. In der Hand ist die Emotion drin, sie will etwas, sie hält etwas. So clustert man sich vom Fernen zum Nahen.

Die Bilderserie wird stark, wenn sie die Aussage unterstützt und sich die Bilder innerhalb dieser Serie nicht gegenseitig aufheben oder redundant werden. Sie sollten immer etwas Neues zeigen, eine neue Perspektive preisgeben. Ist das zur Verfügung stehende Bildmaterial nicht gut, muss man mit gut gewählten Ausschnitten arbeiten.

Fundraising-Echo: Was ist bei der Bildauswahl zu beachten?

Maurice Ressel Fotograf Maurice Ressel erhielt schon mehrere Auszeichnungen.
Foto: © Nora Blum
Maurice Ressel: Bevor jemand sich auf die Suche nach Bildmaterial begibt, muss ihm die gewünschte Aussage der Bilder klar sein. Das abzubilden, was man schreibt, ist nicht gut. Vielmehr sollten die Bilder neue Informationen preisgeben. Kann eine Aussage nicht genug bebildert werden, ist es besser, davon Abstand zu nehmen.
Die Preise, die ich bekommen habe, waren für Bildergeschichten. Bilder so zusammenzustellen, dass sie eine interessante Geschichte erzählen, ist wichtig. Dasselbe macht ein Koch. Auch er denkt zuerst darüber nach, was er kochen will, und wählt dann die perfekten Zutaten aus.

Fundraising-Echo: Gibt es noch weitere Aspekte?

Maurice Ressel: Eine gute Bilderserie entsteht meistens auch, weil der Fotograf genau wusste, was derjenige braucht, der anschließend die Fotos auswählt.

Fundraising-Echo: Also ist ein Briefing notwendig?

Maurice Ressel: Als Erstes sollte ein Zeitplan erstellt werden, wenn ein Mitarbeiter, egal ob allein oder mit Fotograf, ins Projektland reist. Es muss Raum und Zeit zum Fotografieren bleiben. Das vorab zu kommunizieren ist absolut wichtig. Der Projektmitarbeiter aus Deutschland gibt vor der Reise bekannt, dass er zum Beispiel eine Stunde die neue Küche des Projektes besucht und davon eine halbe Stunde fotografieren will. So haben die Projektpartner vor Ort genug Zeit, die spätere Szene zu organisieren.

Fundraising-Echo: Muss noch etwas vor dem Abflug kommuniziert werden?

Maurice Ressel: Der Referent beschreibt den Mitarbeitern vor Ort genau, was auf den Fotos passieren soll. Bei Hilfsorganisationen geht es oft um Benachteiligte, Hilfsbedürftige, Traumatisierte, schwierige Fälle, die man zeigen möchte. Zuerst einmal ist es am wichtigsten, dass man die Menschen, die man fotografieren möchte, vorbereitet, damit sie nicht in ihrer Würde und ihrem Trauma verletzt werden. Es ist sehr wichtig, dass das von vornherein implementiert wird.

Dann kann der Referent vor Ort nachfragen, welche Szene die gewünschte Aussage fürs spätere Mailing am besten beschreibt, oder er gibt sie gleich selbst vor. Das muss alles abgeklärt sein, bevor man fliegt. Die Menschen vor Ort sollten Zeit haben, die Situation zu organisieren. Ist diese Vorbereitung gemacht, dann steht jemand in der Küche und kocht, wenn der Referent erscheint. Dadurch entsteht ein ganz anderer Raum zum Fotografieren. Sich diese zeitlichen Freiräume zu schaffen ist sehr, sehr wichtig. Denn Zeit ist auch Qualität.

Fundraising-Echo:  Was heißt das?

Maurice Ressel: Bei solch einer Vorbereitung passiert es meistens nicht, dass der Projektreferent vor Ort ist, Bilder machen will, aber niemand ist da. Wenn ich keinen Raum und keine Zeit habe, kann ich gar nichts machen. Mit einem guten Briefing schaffe ich Raum, Zeit und Ordnung. Zusätzlich muss der Fotograf natürlich seine Kamera gut kennen. Ist das nicht der Fall, hat er oft Angst zu fotografieren und bewegt sich nicht auf die Menschen zu. Dann können die Kinder noch so toll spielen, die Bilder werden schlecht. Ein gutes Foto kann nur entstehen, wenn der Fotograf keine Angst vor der Technik und vor den Menschen hat und sich selbst vertraut. Das schafft einen Wohlfühlraum, und in diesem Raum bekommt man Nähe.

Fundraising-Echo: Gibt es Tricks, um die Gestaltung eines Bildes zu beeinflussen?

Maurice Ressel: Der Trick heißt „Vordergrund macht Bild gesund“. Man öffnet die Blende (kleine blenden Zahl), und platziert etwas im Vordergrund, das dann unscharf im Vordergrund erscheint. So erhält das Foto eine Plastizität. Das A und O ist die Spannung ins Bild zu bekommen. Der Mittelteil wird scharf gestellt und der Hintergrund ist wieder unscharf.

Fundraising-Echo: Und wie bekommt man am besten Aktions-Bilder?

Maurice Ressel: Nehmen wir das Beispiel Kinder sollen in der neuen Küche backen. Sie sind in der Küche und gucken den Referenten an. Dann entstehen Bilder, auf denen die Kinder in die Kamera gucken, aber es passiert nichts. Wichtig ist, dass eine Situation entsteht, die die Kinder backen lässt. Dazu muss eine vertraute Person vor Ort sein, die die Kinder anleitet. Dann backen die Kinder und der Fotograf schießt fortwährend Fotos. Die Kinder haben Spaß, sie nehmen den Fotografen nicht wahr, so entstehen gute Bilder. Wichtig ist noch, dass der Fotograf sich auf Augenhöhe der Kinder befindet, er muss also in die Hocke gehen.

Fundraising-Echo: Heutzutage rückt das Online-Fundraising immer mehr in den Fokus der NPOs. Müssen die Bilder für online anders sein?

Maurice Ressel: Ja. Es gibt mehrere Faktoren, die für diese Medien wichtig sind. Zum einen die Größe. Überwiegend werden die Artikel nur noch auf dem Handy angeschaut. Die Bildschirme sind viel kleiner, die Aufmerksamkeitsspanne ist viel geringer, die Verweildauer pro Post ist kurz. Dementsprechend muss das Foto viel größer sein. Ein größerer Ausschnitt, also das Gesicht zum Beispiel, muss viel weiter herangezoomt werden. Es muss viel präsenter sein, viel reißerischer. Außerdem ist es gut, wenn es ein Alleinstellungsmerkmal hat und einen emotionalen Reiz auslöst. Ob Kinderaugen, Explosion oder Feuer, es sind die ganz animalischen Reize des Menschen, die angetriggert werden müssen, damit das Foto aus der Bilderflut hervorsticht.

Fundraising-Echo: Vervollständigen Sie bitte den Satz: Das Foto 2050 …

Maurice Ressel: … ist immer noch der eingefrorene Moment, der die Menschen in einen magischen Bann zieht. Vermutlich geht aber die Magie eines genialen Bildes im Regen der neuen Technologien und Informationen unter. In diesem Schauer werden die Menschen vor lauter Tropfen nicht in der Lage sein, die einzelnen Fragmente noch angemessen und würdigend zu erfassen.
 

Maurice Ressel ist Foto- und Videograf aus Berlin. Seit 2010 dokumentiert er weltweit Projekte für gemeinnützige Organisationen. Dabei entstanden fotojournalistische Arbeiten, die mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet wurden. Seine Kunden sind unter anderem SOS-Kinderdorf, Diakonie Katastrophenhilfe, Fairtrade Max Havelaar Schweiz, Ärzte ohne Grenzen, Misereor und UNICEF.
Kontakt: www.mauriceressel.de, info@mauriceressel.de

 

 

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