Demokratie
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von Robert Exner

Die Zivilgesellschaft ist gefordert. Wie lässt sie sich fördern?

„75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, 75 Jahre nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen – erinnern wir uns noch einmal sehr bewusst, dass wir seit 75 Jahren in Frieden und Freiheit leben,“ rief Belit Onay, der neue Oberbürgermeister von Hannover beim Neujahrsempfang die Gäste dazu auf, selbst aktiv zu werden, damit alle Menschen in Hannover gewalt- und diskriminierungsfrei miteinander leben könnten.

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„Die Demokratie braucht uns!“

Ganz ähnlich lautete der Appell unseres Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier zu Weihnachten im vergangenen Jahr: „Die Demokratie braucht uns!“, so sein Aufruf für die Zivilgesellschaft aktiv zu werden. Viele der „selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger – mit Zuversicht und Tatkraft, mit Vernunft, Anstand und Solidarität“, die der Bundespräsident adressierte, engagieren sich oftmals schon seit Jahren in Vereinen, Verbänden, Stiftungen oder anderen Organisationen. Doch erstaunt es nicht nur diese Menschen, dass ihr Einsatz für die Zivilgesellschaft zuweilen steuerrechtlich gar nicht mehr als gemeinnützig gilt.

Kürzlich wurde nämlich politisch aktiven Organisationen wie Attac, Campact, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten von den Finanzbehörden der Status, gemeinnützig zu sein, aberkannt. Deshalb haben mittlerweile mehr als 150 Vereine und Stiftungen die „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ ins Leben gerufen. Ihr Credo: Zivilgesellschaft ist gemeinnützig.

 

Was allen gehört, verliert an Wert

Vielleicht liegt es ja an dem Wortbestandteil „gemein“ in gemeinnützig? Laut Herkunftswörterbuch bedeutete „gemein“ ursprünglich mehreren abwechselnd zukommend oder mehreren in gleicher Art gehörig. Daraus entwickelten sich die Worte gemeinsam, gemeinschaftlich und allgemein. Zugleich liegt darin wohl der Imageverlust des Adjektivs begründet: Denn das, was vielen gemeinsam ist, das scheint für den einzelnen nicht so wertvoll zu sein.

Teilen „gemein“ und „Demokratie“ dasselbe Schicksal? Auch die Herrschaft des Volkes – von gr. demos ‘Volk’ und kratein ‘herrschen’ – leidet zunehmend unter Geringschätzung und Wertverlust. Wenn alle herrschen, dann ist es ja nicht so wichtig, dass ich mich als einzelner einbringe, oder?

Lethargie ist gefährlich, das sieht auch der Bundespräsident, deshalb sein Ruf: „Die Demokratie braucht uns!“ Doch wie passt sein Appell damit zusammen, dass Vereine und Verbände um ihre Gemeinnützigkeit fürchten, in denen sich Menschen explizit für die Demokratie engagieren? In denen sich Menschen für eine offene und vielgestaltige Zivilgesellschaft einsetzen, gegen Faschismus und Antisemitismus. Muss in diesen Tagen nicht alles getan werden, die solidarische Zivilgesellschaft (auch steuerlich) zu fördern?

 

Robert Exner

Robert Exner ist selbstständiger Texter und Fundraisingexperte.

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Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten 2019

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Brief an den Bundespräsidenten

Diese Fragen stellte jetzt eine Initiative aus Hannover dem Bundespräsidenten. In einem Brief wandte sich der Kreis - zu dem auch der Autor dieses Beitrags gehört - an Dr. Frank-Walter Steinmeier mit der Bitte, dafür einzutreten,

  • dass das Thema Gemeinnützigkeit über das Steuerrecht hinaus diskutiert und definiert wird,
  • dass ein zeitgemäßes Gemeinnützigkeitsrecht formuliert wird, das Organisationen stärkt, die die Entwicklung in Deutschland positiv, zuweilen kritisch mitgestalten,
  • dass ein demokratisches Korrektiv mit Tatkraft, Vernunft und Herz gefördert wird.

Organisationen müssten gleichberechtigt mit Parteien an der politischen Meinungs- und Willensbildung mitwirken können. Eine Monopolstellung der Parteien bei der politischen Willensbildung sei trotz des Parteienprivilegs sicher nicht im Sinne eines gleichberechtigten demokratischen Diskurses, heißt es in dem Brief. Und noch größeres Unverständnis ruft bei den Initiatoren die Tatsache hervor, dass Spenden sogar an solche Parteien absetzungsfähig sind, die antidemokratische Ziele verfolgen.

Die steuerliche Ungleichbehandlung ist das eine, viel stärker sind wohl die Signalwirkungen, die von einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit ausgehen: Bedeutet das, die betreffende Organisation ist unseriös? Ist Engagement in dieser Organisation fragwürdig, wenn von höchster Stelle entschieden wird: Der (Spenden)Zweck dient nicht dem Gemeinwohl? Vergibt das Finanzamt damit ein staatliches, gar politisch motiviertes Nichtspendensiegel?

 

Demokratie, so vielfältig wie die Menschen, die sich einbringen

Bundespräsident Dr. Steinmeier, der Hannoversche Oberbürgermeister Onay und viele andere fordern in diesen Tagen dazu auf, für unser Gemeinwesen und das Gemeinwohl aktiv zu werden. Die Initiative aus Hannover nimmt den Bundespräsidenten beim Wort, sie ist ein Beispiel für ein solches Mitwirken. Denn Demokratie ist so vielfältig wie die Menschen, die sich einbringen!

 

Hintergrund

Robert Exner ist seit 2004 selbstständig mit seinem Büro „fundwort“ für Text, PR und Fundraising. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundwort.de

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