Eiskalte Spendenwerbung

Von Dr. Christoph Müllerleile

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph MüllerleileNatürlich kommt auch meine Kolumne im Fundraising-Echo am Phänomen Ice Bucket Challenge nicht vorbei. Es muss als Lehrstück aus dem Web-Zeitalter in die Bücher eingehen, denn ohne Internet wäre schlicht undenkbar gewesen, dass sich Tausende bei vollem Verstand für einen guten Zweck, den vorher so gut wie niemand kannte, mit Eiswasser übergießen, sich dabei ablichten lassen, Nachahmer gewinnen und dabei tatsächlich Millionen für die Erforschung von Amyotropher Lateralsklerose (ALS) generieren.

Markant ist neben der geringen Prominenz des Zwecks vor allem die Unlogik, mit der der Spendenerfolg erzielt wird. Denn am prominentesten in Erscheinung treten ja die Spendenverweigerer, die sich kasteien statt zu spenden. Zahlen sollen nur Drückeberger wie ich, der sich nicht zum öffentlichen Gespött machen lassen wollte und deshalb ohne Wasserschaden brav für ALS-Kranke an die Berliner Charité spendete. Natürlich beeilten sich auch viele der eiskalt Geduschten, ebenfalls zu spenden und "trotzdem" Spaß zu haben.

Das Ereignis wurde ein Selbstläufer und lässt sich nicht beliebig wiederholen. Wiederholen aber lässt sich die Erkenntnis für Fundraiser, dass Menschen an Menschen geben (People give to People). Leute wie Bill Gates, George Busch und Lieschen Müller hätten sich ohne Aufforderung durch Menschen von gleicher gesellschaftlicher Stellung nie herausfordern lassen. Voraussetzung ist, dass die Herausforderer mit gutem Beispiel vorangehen, denn keiner macht den Blödsinn alleine.

Und so funktioniert es immer wieder, auch ohne kaltes Wasser. Ein von ALS Betroffener brachte es im "Tagesspiegel" auf den Punkt: "Die Ego-Maschine des Internets macht’s möglich. Wer nach seiner Nominierung nicht mitspielt, kommt an den Pranger. Er darf sich vom erpresserischen Druck freikaufen." Gespendet wird nicht aus reinem Altruismus, sondern vor allem dann, wenn es auch andere tun, deren Ansichten man schätzt oder deren Bitte man sich aus mannigfachen Gründen nicht entziehen kann. Teure Karten für Benefizgalas werden so verkauft, vor allem wenn es sich um eine erste Veranstaltung dieser Art und einen Zweck von umstrittener Relevanz handelt. Niemand wird bestreiten, dass AIDS zu schweren Erkrankungen führt und für die Betroffenen schrecklich ist, aber gemessen an der Zahl der Betroffenen in Deutschland verglichen mit anderen Krankheitsursachen statistisch unbedeutend. Spendenappelle und Benefizereignisse, denen sich niemand entziehen konnte, haben zu überproportionalem Bedeutungszuwachs und guten Spendenergebnissen geführt. Ob Ebola-Bekämpfung ähnlichen Druck erzeugt oder die Hilfe für in Deutschland ankommende Flüchtlinge, steht nicht fest, aber auch daraus ließen sich aufsehenerregende Fundraising-Kampagnen machen.

Großspender werden in der Regel über Persönlichkeiten von gleichem Stand geworben. Zumindest fragen sie, wer noch alles mitmacht. Schon für Kleinspender ist es wichtig, wer im Vorstand oder Kuratorium sitzt, Botschafter ist, und wer im eigenen Umfeld schon etwas gegeben hat. Nur wenige wollen Vorreiter sein, selbst wenn sie der guten Sache schon lange nahestehen.

Durch das persönliche Wort kommt es auch zur Besetzung von verantwortlichen Positionen. Wie oft habe ich es beobachtet, dass Ehrenamtler Vorsitzende mittlerer und großer Organisationen wurden, die bis dahin nicht einmal Mitglied waren oder zumindest nicht im Vordergrund standen, aber nicht Nein sagen konnten oder wollten, als sie gefragt wurden.

Die hässlichste Seite der People-to-People-Spendenwerbung kennen wir aus Politik und Religion. George Packer schildert in seinem sehr lesenswerten Sachbuch "Die Abwicklung", welche Ausmaße das politische Geben und Nehmen in den USA angenommen hat, wo Wahlkämpfe nur mit großen Spendentöpfen zu gewinnen sind und die Restriktionen zur Verhinderung politischer Einflussnahme durch korrumpierende Einflussspenden immer durchlässiger wurden. Auch Seelenheil kann man sich durch Großzügigkeit gegenüber spirituellen Führern und Scharlatanen erkaufen. Dass es bei uns wieder so kommt, mögen Luther und Gott verhüten.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist Journalist und freier Autor mit Spezialgebiet Fundraising. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de

 

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