„Engagement-Beratung“ – Vorabdruck des Artikels im Fundraising-Handbuch

Von Michael Busch, Haus des Stiftens gGmbH
 
Michael BuschMichael BuschFundraising wird als Mittelbeschaffung für Organisationen verstanden. Dieses Verständnis geht von der Organisationsperspektive aus: Fundraising soll dazu beitragen, dass Organisationen ihre gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen können. Dieser Ausgangspunkt ist berechtigt. Aber er trägt auch die Gefahr einer Selbstbezogenheit in sich, die den Blick auf die Perspektive der Geber verstellt. Eine deutliche Ausweitung des gesellschaftlichen Engagements in Deutschland wird nur gelingen, wenn gemeinnützige Organisationen das klassische Fundraising durch einen Ansatz erweitern, der nicht ihre eigene Organisation zum Ausgangspunkt nimmt, sondern die Sicht der Geber. Einen solchen Perspektivwechsel ermöglicht das Konzept der Engagement-Beratung.
 
 
Ausgangspunkte und Annahmen
 
Während in Deutschland in den letzten Jahren die öffentliche Verschuldung deutlich zugenommen hat, ist die Möglichkeit, sich mit privatem Geldvermögen gesellschaftlich zu engagieren, stark gewachsen. Mehr als 1 Mio. Menschen in Deutschland verfügen über ein Nettofinanzvermögen von mindestens 1 Mio. $1, das wohlhabendste Prozent der Bevölkerung verfügt über mindestens 23 % des privaten Vermögens2. In dieser Bevölkerungsgruppe liegt das größte Potenzial zur Ausweitung des finanziellen gesellschaftlichen Engagements. Studien zur Vermögenskultur in Deutschland legen nahe: Die grundsätzliche Bereitschaft zum Engagement ist bei vermögenden Privatpersonen vorhanden, sie ist dort auch größer als im Durchschnitt der Bevölkerung3. Aber der Umfang des Engagements bleibt noch deutlich hinter dem Potenzial der vermögenden Menschen zurück. Das Spendenvolumen bewegt sich seit Jahren zwar insgesamt positiv seitwärts, aber nicht dynamisch aufwärts.
 
Das Konzept der Engagement-Beratung geht vor diesem Hintergrund von folgenden Annahmen aus: Vermögende Privatpersonen und Unternehmen können viel geben: Sie können Kompetenz, Zeit, Kontakte, Produkte oder Infrastruktur stellen. Sie werden dies aber nur tun, wenn sie dieses Geben nicht als ein bloßes Abgeben, sondern als ihr eigenes Anliegen erleben. Das setzt voraus, dass sie mit dem konkreten „Gewinn“ ihres Engagements für die Gesellschaft und für sich selbst stärker in Berührung kommen. Eine geberorientierte Beratung und Begleitung kann dazu beitragen, dass ihnen dies gelingt und dass sie aufgrund dieser Erfahrung ihr Engagement ausweiten. Als ein zentrales Motiv für gesellschaftliches Engagement setzt das Konzept der Engagement-Beratung dabei den Wunsch voraus, sich als „selbstwirksam“ zu erleben: Geber ergreifen konkrete Möglichkeiten, mit denen sie ihr Potenzial, ihre Fähigkeiten und ihre Überzeugungen umsetzen können und mit denen sie Wirkungen erzielen, die ihren persönlichen Lebenszielen entsprechen. Immer stärker tendiert die gesellschaftliche Entwicklung zu einem solchen individuellen Verständnis sozialen Engagements, wie es z.B. in dem folgenden Zitat der Stifterin Barbara Krebs zum Ausdruck kommt: „Ich habe mit der Zeit einen individuellen Umgang mit Geld entwickelt, bei dem ich gelernt habe, mein emotionales, soziales und intellektuelles Potenzial mit meinem finanziellen Potenzial zu verbinden4. An dieses Verständnis von Engagement knüpft das Konzept der Engagement-Beratung an.
 
 
Begriff und Gegenstand
 
Engagement-Beratung ist ein Beratungsansatz, der Geber befähigt, gemäß ihren eigenen Ressourcen, Vorstellungen und Werten, soziale Investitionen wirksam umzusetzen. Geber können Privatpersonen, Personenvereinigungen oder Unternehmen sein. Ressourcen sind neben Geld auch Wissen, Erfahrung, Zeit und Netzwerke.
 
Engagement-Beratung umfasst:

  • die Klärung der Motive, Werte und Erwartungen des Gebers,
  • die Erarbeitung der individuellen Zielsetzung und deren Integration in die Lebens- und Vermögensplanung,
  • die Orientierung zu Möglichkeiten und Formen des Engagements,
  • die Unterstützung bei der Umsetzung durch geeignete Instrumente, Netzwerke und Partner.

 
Engagement-Beratung unterscheidet sich damit von:

  • Ehrenamtsberatung oder der Beratung durch Freiwilligenagenturen, indem sie in der Regel auch den Einsatz finanzieller Ressourcen umfasst.
  • Stiftungsberatung, indem sie sich nicht auf eine bestimmte Rechtsform bezieht.
  • Rechts- und Steuerberatung, die formale Aspekte bei der Umsetzung von Engagement klärt.
  • Vermögensberatung, die traditionell nur auf die Bewahrung und Mehrung materieller Werte bezogen ist, nicht auf deren Nutzung.

 
Gegenüber dem organisationsbezogenen Begriff des klassischen Fundraisings kann der Begriff der Engagement-Beratung eine wichtige Korrekturfunktion wahrnehmen: Er lenkt das Augenmerk stärker auf das Geben, als auf das Nehmen. Statt einer bloßen Akquiseorientierung wird das Interesse an den Motiven des Gebens betont. Die gesellschaftliche Dimension des Engagements rückt stärker in den Mittelpunkt als der Nutzen für eine bestimmte Organisation.
 
Der Begriff Engagement-Beratung wird hier anstelle der Bezeichnung Philanthropie-Beratung verwendet. Der Philanthropie-Begriff ist in seiner gesellschaftlichen Wirkung dadurch eingeschränkt, dass er häufig nur auf die Beratung von Privatpersonen („Philanthropen“) bezogen wird, auf die Förderung mit Geld oder auf eine sehr elitäre oder exklusive Gruppe von Gebern. Zudem wird Philanthropie in Deutschland oft als moralische Eigenschaft des Gebers, des Philanthropen, verstanden; gesellschaftliches Engagement wird man aber nicht richtig verstehen und fördern können, wenn man es aus einem Überwiegen „altruistischer“ über „egoistische“ Charaktereigenschaften erklärt. Demgegenüber ist der Begriff des Engagements dynamischer, umfassender und stärker inkludierend.
 
 
Rollen und Ziele
 
Engagement-Beratung kann in unterschiedlichem Kontext stattfinden. Sie kann geleistet werden durch:

  • Selbständige Anbieter von Beratungs- und Dienstleistungen im Dritten Sektor,
  • Nonprofit-Organisationen, die eine geberorientierte Beratung und Unterstützung für ihre Großspender und Stifter anbieten,
  • Bürgerstiftungen, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen, die Engagement fördern,
  • Kommunale oder staatliche Stellen der Engagement-Förderung,
  • Mitarbeitende in Vermögensverwaltungen, Stiftungsverwaltungen und Banken,
  • Geberinnen und Geber, die andere bei ihrem philanthropischen Handeln begleiten.

 
Die Rolle, aus welcher die Berater handeln, prägt maßgeblich die Praxis der Engagement-Beratung. Ein förderlicher Beratungsprozess kann nur gelingen, wenn die Ziele der Engagement-Beratung bewusst sind und klar benannt werden. Sie liegen auf drei Interessen-Ebenen: Der Ebene des Gebers, der Gesellschaft als Ganzes und des Beraters.
 
Geberziele sind z.B.:

  • Die Klärung der eigenen Ziele und Wünsche.
  • Die Zufriedenheit mit dem eigenen Engagement und dessen Wirkungen.
  • Die Fähigkeit der Vermittlung und Legitimation des eigenen Engagements gegenüber Dritten.

 
Gesellschaftliche Ziele sind z.B.:

  • Die Ermöglichung von gesellschaftlicher Partizipation und Beteiligung.
  • Die Wirkung bei der Lösung konkreter gesellschaftlicher Aufgaben.
  • Die mittelbare Wirkung (Vorbild) für eine Kultur des Engagements insgesamt.

 
Beraterziele sind z.B.:

  • Die Beraterziele sind abhängig von seiner Rolle und organisatorischen Einbindung. Neben den bereits genannten Zielen können dazu gehören:
  • Die Förderung eigener gemeinnütziger Organisationszwecke.
  • Die Förderung gemeinnütziger Zwecke in Teilbereichen der Gesellschaft (z.B. einer Kommune).
  • Die Förderung eigener wirtschaftlicher Interessen (z.B. Vergütung, Kundenbindung).

 
 
Engagement-Service
 
Der Ansatz der Engagement-Beratung kann im Rahmen des Fundraisings in erster Linie für solche Geber fruchtbar gemacht werden, die wegen des Umfangs oder der Dauer ihres Engagements besondere Erwartungen und Bedürfnisse mitbringen. Das sind vor allem Großspender, Stifter und Erblasser. Gemeinnützige Organisationen können solchen Gebern auf der Grundlage des Konzeptes der Engagement-Beratung konkrete Hilfen beim Stiften, Fördern oder Vererben zur Verfügung stellen. Wir schlagen vor, solche Angebote und Strukturen als „Engagement-Service“ zu bezeichnen; dazu kann etwa die Vermittlung individueller Fördermöglichkeiten gehören, die Durchführung von Kooperationsprojekten, die Verwaltung von Treuhandstiftungen oder die Beratung bei Fragen der Nachlassregelung. Wie auch immer solche Angebote ausgestaltet oder bezeichnet werden: Haltung und Methode im Bereich des Engagement-Service unterscheiden sich deutlich vom klassischen Fundraising.
 
Abbildung 1: Perspektive Fundraising (eigene Darstellung)  Abbildung 1: Perspektive Fundraising (eigene Darstellung)Fundraising aus der Perspektive der Mittelbeschaffung vermittelt Gebern die folgende Grundbeziehung: „Wir möchten gesellschaftliche Probleme lösen. Bitten stellen Sie uns dazu Ihre Ressourcen zur Verfügung. Helfen Sie uns, damit wir effektiv helfen können.
 
Im Bereich des Engagement-Service ist die Beziehung eine andere: „Sie möchten gesellschaftliche Probleme lösen. Wir stellen uns Ihnen als Partner dafür zur Verfügung. Wir helfen Ihnen, damit Sie effektiv helfen können.
 
Die angedeutete Unterscheidung mag eher theoretisch klingen. Aber sie ist fundamental. Wird diese veränderte Haltung in das Organisationshandeln umgesetzt, ergeben sich daraus Anforderungen und praktische Konsequenzen, die sich im Erscheinungsbild und den Prozessen einer Organisation umfassend geltend machen, unter anderem:
 
Abbildung 2Abbildung 2Interne Prozesse im Bereich des Engagement-Service ermöglichen individuelle Projektvorschläge und Berichterstattung,
Auswahl und Schulung von Mitarbeitern werden auf eine geberorientierte Beratung abgestimmt,
Langfristige Zielvorgaben statt kurzfristiger Akquiseziele räumen den nötigen Freiraum für eine geberorientierte Beratung ein.
 
Die vor allem akquiseorientierte Ausrichtung des Fundraisings ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu partnerschaftlichen Beziehungen mit Großspendern und Stiftern und zu mehr Engagement. Wird das Fundraising konsequent durch das Konzept der Engagement-Beratung erweitert, signalisiert dies den Gebern, dass nicht primär organisationsbezogene Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen, sondern dass (auch) ihre eigenen Möglichkeiten und Ziele Grundlage der Beziehung sind. Der Mehrwert für eine Organisation, die Engagement-Beratung als Haltung und Methode bei der Betreuung von Großspendern und Stiftern etabliert, liegt darin, dass: 

  • die Ansprache nicht als aufdringlich empfunden wird und Vertrauen entsteht,
  • Geber ihre eigenen Ressourcen umfassender wahrnehmen,
  • Engagement und Verantwortung steigen und dauerhafter werden,
  • langfristig mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

 
Grundlagen für eine konkrete Umsetzung in der Praxis vermitteln die Fortbildung zum Engagement-Berater, eine Kooperation der Fundraisingakademie, der PHINEO gAG und der Haus des Stiftens gGmbH, und das Strategiepapier „Plan B“ der Alexander Brochier Stiftung.
 
 
Fazit und Ausblick
 
Trotz eines stark angewachsenen privaten Vermögens in Deutschland und trotz einer deutlichen Professionalisierung und Verstärkung des Fundraisings, hat sich das Spendenvolumen in den letzten Jahren nicht entsprechend deutlich nach oben bewegt. Das Potenzial für eine deutliche Zunahme des gesellschaftlichen Engagements liegt insbesondere bei vermögenden Privatpersonen und erfolgreichen Unternehmen. Engagement-Beratung stellt eine Möglichkeit dar, diese Geber auf dem Weg zu mehr Engagement zu begleiten.
 
Das Konzept der Engagement-Beratung will Organisationen ermutigen, die Blickrichtung zu ändern. Zu Recht verstehen sich die Organisationen als Träger und Gestalter von gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn sie ihre Aufgabe zugleich darin sehen, Geber zu effektiver Hilfe zu ermächtigen; wenn sie verstehen, dass Geber sich im Ergebnis nicht für Organisationen, sondern für Zwecke und Menschen engagieren; wenn sie individuelle Hilfsmöglichkeiten sichtbar machen – dann wird dadurch immer deutlicher werden, dass die Lösung gesellschaftlicher Aufgaben nicht etwa an gemeinnützige Organisationen delegiert ist, sondern dass es auf das Engagement jedes Einzelnen ankommt.
 
 
 
Literatur
 
Lauterbach/Druyen/Grundmann (Hrsg.): Vermögen in Deutschland – Heterogenität und Verantwortung, 2011.
 
PLAN B – Wie es gelingen kann, dass sich immer mehr Menschen mit eigenem Vermögen für die Lösung gesellschaftlicher Aufgaben engagieren, Hrsg. Alexander Brochier Stiftung, Download unter http://goo.gl/SQ9gMw.
 
„Sieben Thesen für eine neue Vermögenskultur“, Policy-Brief der Stiftung Neue Verantwortung, August 2011, Download unter http://goo.gl/avm5AZ

 

Über den Autor: Michael Busch ist Rechtsanwalt und leitet das Frankfurter Büro der Haus des Stiftens gGmbH. In dieser Funktion ist er beratend sowohl für Stifter und Förderer, als auch für Vermögensberater und gemeinnützige Organisationen tätig. Er ist Studienleiter der Fortbildung zum Engagement-Berater, die gemeinsam von der Fundraisingakademie, der PHINEO gAG und der Haus des Stiftens gGmbH durchgeführt wird. Zuvor arbeitete er in leitenden Funktionen im Bereich der grenzüberschreitenden Sozialarbeit und der Entwicklungshilfe. Kontakt: michael.busch@stiftungszentrum.de

 
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1 Capgemini/RBC Wealth Management, World Wealth Report 2014
2 Frick/Grabka/Hauser, Die Verteilung der Vermögen in Deutschland, 2010, S.55
3 Lauterbach/Kramer/Ströing, in Lauterbach/Druyen/Grundmann (Hrsg.), Vermögen in Deutschland - Heterogenität und Verantwortung, 2011, S. 110 ff.
4 Zitat aus Bloehmer,Vera, Stifterinnen - Frauen erzählen von ihrem Engagement, Hrsg. Bundesverband Deutscher Stiftungen, 2010

 

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