Face-to-Face: „Drücker“ oder Dialoger?

Von Claudia Wohlert

Laut dem Deutschen Spendenrat e.V. wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2017 über 3,1 Milliarden Euro gespendet. Einen Teil davon generierte das immer beliebter gewordene Face-to-Face-Fundraising auf der Straße. Face-to-Face wird seit vielen Jahren in der Presse negativ dargestellt. Und auch in diesem Jahr nahmen einige Medien die Hauptspendenzeit vor Weihnachten zum Anlass, negativ über die „Drückermethoden“ der Spendensammler auf der Straße und an der Haustür zu berichten. Im Gespräch mit Guido Görge, Fundraiser bei Amnesty International, klärt Claudia Wohlert, ob dieses Negativimage zutrifft und warum gemeinnützige Organisationen zusammen mit Face-to-Face-Agenturen den Verein QISH (Qualitätsinitiative Straßen- und Haustürwerbung) gegründet haben.

Fundraising-Echo: Ende des Jahres erschienen in der „taz Bremen" und auf „Welt.de" Artikel mit den Überschriften „Monologmarketing. Fragwürdiges Spenden-Eintreiben“ und „Die ,Drückermethoden' der Spendensammler an der Haustür“. Sieht das Amnesty International auch so?
Guido Goerge

Guido Görge, Fachreferent Face-to-Face bei
Amnesty International. Foto: © privat
Guido Görge: Nein. Die Presse berichtet immer wieder negativ über dieses Fundraising-Instrument. Und es gibt sicherlich „schwarze Schafe“ auf dem Markt, die die Menschen nicht angemessen ansprechen, aber ein Großteil der Organisationen arbeitet professionell und agiert sensibel und qualitätsbewusst.

Amnesty International hat 2004 mit Face-to-Face angefangen und es entsprechend weiterentwickelt. Über 80 Prozent der Auftritte werden inzwischen mit einer eigenen Struktur, der Amnesty-Service-Gesellschaft, durchgeführt. Wir legen sehr viel Wert auf Qualität. Aus diesem Grund hat Amnesty auch ein eigenes Qualitätsmanagement entwickelt. So kann man negativen Presseberichten über Face-to-Face-Fundraising etwas Professionelles entgegenhalten. Die Menschen auf der Straße werden angesprochen und gefragt, ob man mit ihnen ein Gespräch führen darf. Und daraus entsteht ein Dialog. Viele Menschen haben auch Fragen. Das Wort „Monologmarketing" ist sehr irreführend.

Fundraising-Echo: Könnten Sie die Aufgaben der Amnesty-Service-Gesellschaft genauer erklären?

Guido Görge: Die Amnesty-Service-Gesellschaft ist eine gemeinnützige GmbH, die von uns gegründet wurde, um das Instrument Face-to-Face näher an unsere Mitglieder-Struktur heranzuholen. Mit einer eigenen Struktur hat man vieles in der eigenen Hand, beispielsweise die Auswahl und Schulung der Dialoger. Die Dialoger sind offiziell bei Amnesty angestellt. Zudem hat ein solches Modell auch steuerliche Vorteile.

Fundraising-Echo: Damit die Qualität gewahrt bleibt, haben sich mehrere gemeinnützige Organisationen und Agenturen mit dem Ziel zusammengeschlossen, ethisch korrekt zu arbeiten. Daraus entstand der Verein QISH. Welche Bedeutung hat dieser Verein?

Guido Görge: Die QISH ist die Qualitätsinitiative für Straßen- und Haustürwerbung. Verschiedene gemeinnützige Vereine und Agenturen haben sich in einer Qualitätsinitiative zusammengeschlossen, um Standards in der Ansprache, im Umgang mit Behörden und bei Arbeitsverträgen als verpflichtend festzuschreiben.

Damit das Fundraising-Tool Face-to-Face langfristig funktioniert, ist eine hohe Qualität wichtig. Die angesprochenen Bürger sollen einen freundlichen Dialog erleben und dabei gut informiert werden. Im besten Fall gehen sie mit dem guten Gefühl nach Hause, sich für eine unterstützenswerte Sache eingesetzt zu haben. Ist diese Qualität nicht gewährleistet, werden die Menschen das nächste Mal einen großen Bogen um Infostände machen, egal wie gut, richtig und notwendig die förderungswürdigen Aufgaben und Ziele der NGO sind.

Amnesty Amnesty International setzt sich für Menschenrechte ein.
Foto: © obs/Amnesty International/Henning Schacht
Fundraising-Echo: Was regelt der Verein QISH?

Guido Görge: In der Anfangsphase haben wir Qualitätsstandards entwickelt, mit denen jeder arbeiten kann. Richtlinien wurden zusammengestellt, an die sich jedes Mitglied halten muss und die kontrolliert werden. Zum Beispiel das Ansprechverhalten. Die Passanten sollten nicht frontal angesprochen werden. Und wenn ein Passant signalisiert, dass er kein Interesse an dem Gespräch hat, wird das respektiert. Kein Dialoger darf sich einem Passanten in den Weg stellen. Auch darf der Angesprochene nicht mehrere Meter begleitet werden. Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Kriterien. Zum Beispiel wie der Stand auszusehen hat, dass der Passant sofort sieht, von wem er angesprochen wird, das Logo der Organisation muss klar erkennbar sein und so weiter.

Fundraising-Echo: Werden diese Kriterien veröffentlicht?

Guido Görge: Ja. Zurzeit warten wir auf den Eintrag in das Vereinsregister. Ist das passiert, veröffentlichen wir eine Webseite mit den Mitgliedern und den Richtlinien. Wir hoffen, dass sich viele dieser Initiative anschließen und somit zu diesen Qualitätsstandards verpflichten.

Fundraising-Echo: Wird es ein Gütesiegel geben, wie zum Beispiel das DZI?

Guido Görge: Mit dem DZI arbeiten wir eng zusammen, aber wir sehen die Mitgliedschaft nicht als Gütesiegel an. Mittel- bis langfristig wünschen wir uns, dass die Ordnungsämter, die in den Städten die Infostände genehmigen, die Mitgliedschaft in der Initiative als Qualitätsmerkmal anerkennen. Heutzutage wird es immer schwieriger, Standplätze zu bekommen. Die Ordnungsämter vergeben derzeit aufgrund schlechter Erfahrungen mit Organisationen oder Agenturen immer weniger Infostandplätze.

Fundraising-Echo: Gibt es einen Mitgliedsbeitrag?

Guido Görge: Die Initiative muss sich aus den Mitgliedsbeiträgen finanzieren. Wir haben bereits jetzt eine Ombudsstelle eingerichtet, die unabhängig das Face-to-Face-Fundraising der QISH-Mitglieder überprüft, zum Beispiel die Schulungsunterlagen oder Verträge mit den Dialogern. In diesem Jahr wird außerdem das Mystery-Shopping mit aufgenommen. Durch die Ombudsstelle werden unabhängig sogenannte Mystery-Shopper ausgewählt, die die Stände unangekündigt besuchen, Testgespräche führen und prüfen, ob nach den Qualitätsstandards gearbeitet wird. 

Fundraising-Echo: Wer macht die Ombudsstelle?

Guido Görge: Ein Universitätsprofessor, der ein eigenes Team zusammengestellt hat, mit dem er die Aufgaben übernimmt und anschließend die Arbeit in Rechnung stellt.

Fundraising-Echo: Was passiert, wenn eine Organisation oder Agentur sich nicht an die Regeln hält?

Guido Görge: Wenn zum Beispiel die Dialogermappen nicht den Qualitätsstandards entsprechen, wird das Mitglied aufgefordert, sie standardgemäß zu ändern. Kommen solche und andere Regelverstöße gegen die QISH-Qualitätsstandards öfter vor, hat die Initiative die Möglichkeit, das Mitglied auszuschließen.

Fundraising-Echo: Kann sich jede Organisation der Qualitätsinitiative anschließen?

Guido Görge: Natürlich. Wir sind offen für jede Organisation und Agentur, die das Instrument der Haustür- und/oder Straßenwerbung nutzt. Die Door-to-door-Werbung, wie die Haustürwerbung auch bezeichnet wird, erlebt eine Renaissance. Vor einigen Jahren war diese Werbung aufgrund von „schwarzen Schafen“ in Verruf gekommen, aber inzwischen wird das bei den österreichischen Kolleginnen und Kollegen und von Agenturen zunehmend nachgefragt und ist auch wieder in der Bevölkerung akzeptiert. Aber natürlich nur unter hohen Qualitätsstandards, deshalb wurde dieser Bereich von vorneherein in die QISH integriert.

Fundraising-Echo: Wie sieht die Spenderwerbung auf der Straße von morgen aus?

Guido Görge: Wahrscheinlich nicht viel anders als heute. Sie wird aber digitaler sein. Es wird noch mehr über Tablets informiert und kommuniziert werden, und auch die Daten der Förderer werden gleich digital aufgenommen. Und ich hoffe, dass durch die QISH die Organisationen und Agenturen es schaffen, dass Plätze in den Städten nicht mit dieser Werbung überstrapaziert werden. Kann in Absprache mit den Ordnungsämtern das Face-to-Face so genutzt werden, dass es positive Effekte erzielt und die Menschen nicht verschreckt, hat sich die QISH bewährt.

 

Guido Görge, studierter Kommunikationswissenschaftler, ist seit 2008 Fachreferent für Face-to-Face und Telefon-Fundraising von Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., Berlin.
Kontakt: Tel.: 030/420248309, E-Mail: guido.goerge@amnesty.de

 

 

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