Kolumne
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Gute Aussichten für 2022?

2021 war ein gutes Spendenjahr, ganz gegen die allgemeinen Erwartungen. Natürlich liegt das auch daran, dass wir im Juli eine Katastrophe direkt vor der Haustür hatten, die eine Welle der Hilfsbereitschaft auslöste. Dem Hochwasser folgte eine Spendenflut, die das DZI als die zweithöchste nach dem Krieg errechnete.

Die eigentliche Überraschung des Jahres fürs Fundraising war aber die anhaltende Spendenbereitschaft auch für andere Zwecke, trotz oder offenbar wegen Corona. Trotz der Pandemie fühlen sich die älteren Spender durch das soziale Netz und ihr wachsendes Vermögen so abgesichert, dass sie an andere denken können, denen es offensichtlich nicht so gut geht. Vielleicht ist es auch das berühmte Apfelbäumchen, das kurz vor dem Weltuntergang durch Krieg und Klimaerwärmung noch gepflanzt wird. Oder das Vertrauen darauf, dass der Staat die Zukunft doch noch im Sinne der schutzsuchenden Bürgerinnen und Bürger regeln kann.

Der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung kommt den Bedürfnissen der Nichtregierungsorganisationen in vielem entgegen, wenn auch nicht so konkret und verbindlich, wie manche es sich gewünscht hätten. Ein wenig Gestaltungsfreiheit muss man Parlament und Regierung oder notfalls den Gerichten schon noch lassen.

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

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Doch im zunehmenden Einfluss der Exekutive und außerparlamentarischer Hilfsgremien wie Koalitionsausschüssen und Ministerpräsidentenkonferenzen liegen auch Gefahren. Denn die auf uns zurollenden Probleme lassen wenig Spielraum für Mitbestimmung und gemeinnütziges Lobbytum. Wer die Klimaneutralität gegen Widerstände erzwingen, Frieden gegen feindliche Mächte, Impfpflicht gegen Egoisten und Bedenkenträger, Gendersprache bei Sprachunkundigen, Windräder und Stromtrassen gegen Naturliebhaber durchsetzen will, ruft jede Menge NGOs auf den Plan, die für Pro und Kontra stehen.

Für Fundraiserinnen und Fundraiser wird es nicht leichter, Spenderinnen und Spendern die Notwendigkeit des Spendens für einen guten Zweck zu erklären, wenn der Staat für denselben Zweck ein Vielfaches aufbringt. Die Fluten im Ahrtal und am Rhein haben zwar 548 Millionen Euro an Spendengeldern eingebracht, aber die von Staat, Versicherungen und von den Geschädigten kurzfristig aufzubringende Summe beläuft sich auf mindestens 29 Milliarden Euro, und die Spenden entlasten letztlich auch Staat und Versicherer, was die Spender sicherlich nicht wollten.

Angesichts der Wucht staatlicher Mittel für die Schadensminderung bei der Pandemie, für soziale Leistungen an Minderbemittelte, Schwache und Kinder, für die Beseitigung von Klimaschäden, für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, den Ausbau der Infrastruktur, die Digitalisierung droht den NGOs ein Nischendasein als Reparaturbetrieb für vom Staat übersehene Partikularprobleme. Die Regierenden loben das Bürgerengagement, betrachten es aber insgeheim als Selbsttherapie von Zukurzgekommenen, die nützlich sein können, wenn ihre Zeitspenden zu Einsparungen führen.

Auch hier sollten wir auf die USA schauen, die unser Spendenvorbild ist. Die Bürger spenden zwar fleißig weiter, weil ihnen das Geben von Kindesbeinen anerzogen ist und Fundraising-Einsatz ganz im Gegensatz zur Situation bei uns Prestige bringt und zum gesellschaftlichen Pflichtenkanon gehört. Aber ein billionenstarkes Infrastrukturprogramm und die Grundsicherung für alle, wie sie die Biden-Administration anstrebt, hätte sich aus freiwilligen Zuwendungen nicht einmal ansatzweise finanzieren lassen.

Ob ein am amerikanischen Vorbild organisierter Giving Tuesday die Spendenbereitschaft in Deutschland erhöhen wird, bleibt fraglich. Das US-Vorbild orientiert sich am Thanksgiving Day, der in Deutschland keine Rolle spielt. In Österreich ist es immerhin der Bundespräsident, der den Internationalen Tag des Spendens per Videobotschaft unterstützt. Das Medienecho zum deutschen Ableger ist eher zurückhaltend, auch bei den Spenden sammelnden Organisationen. Die Deutschen geben in der Regel nicht um des Gebens willen, sondern für bestimmte Anliegen. Der Fundraising-Verband hat durch Umfrage herausgefunden, dass Spenden glücklicher macht als das Geldausgeben beim Ladenbummel. Beide sind keine Äquivalente. Dass Helfen glücklich macht, wenn Hilfe wirklich gebraucht wird, ist wissenschaftliches Allgemeingut. Und Leute, die sich dem Kaufzwang eines Schnäppchentags wie dem Black Friday unterwerfen, sind dabei gewiss nicht glücklicher.

In Zeiten faktischer Lockdowns nützen Spendendienstage wenig, wenn die Möglichkeiten zur persönlichen Spende fehlen, die Benefizgalas, Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Weihnachtsfeiern, Kirchenkollekten, Dialogstände, Sammlungen auf Weihnachtsmärkten, Tombolas, Lotterien, Infoveranstaltungen mit potenziellen Großspendern und Erblassern.

Digitale Spendenappelle können die Wirkung von persönlich vorgebrachten Spendenbitten nicht ersetzen. Die berühmten Sternsinger werden ihre phänomenalen Spendenergebnisse nur dann erzielen, wenn sie persönlich von Haus zu Haus gehen können und dort auch singen dürfen.

 

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Über den Kolumnisten

Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@t-online.de

 

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