„Ich mache 100 Prozent Impact Investing. Ein Paradigmenwechsel in der Kapitalanlage von Stiftungen.“

Von Claudia Wohlert

Gerhard BissingerStiftungsgründer Gerhard Bissinger meint, dass Impact Investing die Wirkung von kleinen Stiftungen verstärkt. © Gerhard Bissinger

Mit 21.301 Stiftungen, die Zahl entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von Bad Pyrmont, gehört Deutschland zu den stiftungsreichsten Ländern Europas. Und alle haben derzeit ein Problem: niedrige Zinsen. Wollen die Stiftungen ihrem Stiftungszweck nachkommen, reicht es nicht mehr, das Kapital in festverzinsten Wertpapieren oder Anlagen anzulegen. Gerade kleine Stiftungen stehen vor großen Herausforderungen. Ein Weg, der Niedrigzinsfalle zu entkommen, ist Impact Investing. Gerhard Bissinger, Mitglied des Expertenkreises Impact Investing des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Der Stifter der Social Business Stiftung in Hamburg sprach mit Claudia Wohlert.

Fundraising-Echo: Nach fast 30 Jahren im Management von Unilever erfüllten Sie sich einen Traum. Sie gründeten mit Ihrer Abfindung die Social Business Stiftung. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Gerhard Bissinger: In der Mitte meines Lebens habe ich mich gefragt: Was will ich noch? Mit 50 habe ich mich entschieden, ein Sabbatjahr in Guatemala zu machen. Zurück in Hamburg beschloss ich, bei der Mikrofinanzorganisation Oikocredit ehrenamtlich mitzuarbeiten. Ich hatte da bereits die Vision, nach meiner Zeit bei Unilever eine Stiftung zu gründen. Aber ich hatte keine Idee, was ich mit der Stiftung bewirken wollte. 2009 konnte ich meine Vision umsetzen. Da lagen bereits fünf Jahre Erfahrung bei Oikocredit hinter mir und ich wusste, dass man mit kleinem Geld viel bewegen kann.
 

Info: Was ist Impact Investing?
Beim Impact Investing (auf Deutsch: wirkungsorientiertes Investment) von Stiftungen werden die Kapitalstockseite und die Förderseite als Einheit gesehen. Die bisher oft durchgeführte strikte Trennung zwischen den Kapitalanlagen- und der Förderseite ist aufgehoben. Beim Impact Investment investiert die Stiftung auf der Kapitalseite in Organisationen und Unternehmen mit dem Ziel, sowohl einen sozialen Nutzen als auch eine finanzielle Rendite zu generieren und zusammen mit der Förderseite die gesellschaftliche Wirkung der Stiftung zu vervielfachen.


Fundraising-Echo: Zum Beispiel Mikrokredite an Frauen in Afrika vergeben.

Gerhard Bissinger: Ja. Bei Stiftungsgründung lernte ich Mohamed Salia aus Sierra Leone kennen. Der junge Mann hatte ein 10-monatiges Stipendium als Social Entrepreneur in Indien absolviert. Er wollte ein Social Business in seinem Heimatland gründen. Kriegswitwen und junge Frauen sollten einen Kredit erhalten, um sich eine bessere Existenz aufzubauen. Ich selbst suchte damals einen Projektpartner für Mikrofinanz. Das ist ein Schwerpunkt unserer Stiftung. In unserer Präambel steht: Wir wollen den Menschen helfen, sich selbst zu helfen, als Partner auf Augenhöhe. Die Stiftung ist keine mildtätige Stiftung. Ein Projektablauf gestaltet sich folgendermaßen: Nach anfänglichen Spenden sehen wir zu, dass es schnell nachhaltig wird und sich selbst refinanziert.
Salia und ich gründeten schließlich das Projekt Adakavi Bank. Nach inzwischen fünf Jahren können wir fast alle Kosten decken. Die 320 Kreditnehmer zahlen seit zwei Jahren 100 Prozent plus Zinsen zurück. Spätestens in zwei Jahren wird es sich vollkommen allein tragen. Neben den Existenzgründungen haben wir dann drei bis vier feste Arbeitsplätze geschaffen.

Fundraising-Echo: Für Stiftungen mit geringen Mitteln bietet das Vermögenspooling eine gute Anlagemöglichkeit. Wäre das für Sie auch eine Option gewesen?

Gerhard Bissinger: Für mich wäre es keine Option gewesen, da ich ein Faible für die Anlage des kleinen Kapitalstocks habe. Ich würde es kleinen Stiftungen empfehlen, die sich auf die Förderseite konzentrieren. Ich mache 100 Prozent Impact Investing. Ein Paradigmenwechsel  in der Kapitalanlage von Stiftungen. Es verstärkt die Wirkung von kleinen Stiftungen. Bei Impact Investing gibt es zwei Seiten: die Förderseite, wo Sie Projekte haben, und die Kapitalstockseite. Wir erzielen auf der Kapitalstockseite auch eine Wirkung. Insgesamt erreichen wir die 30- bis 40-fache Wirkung, als wenn wir nur die Zinseinnahmen für die Förderseite hätten.

Fundraising-Echo: Bei der Vergabe von Mikrokrediten sprechen Sie von Impact Investing. Welchen Unterschied sehen Sie zwischen Mission und Impact Investing?

Gerhard Bissinger: Wenn Sie entsprechend dem Satzungszweck ein Projekt finanzieren, spricht man heute von Mission Investing. Ich habe in meiner Satzung Völkerverständigung und entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Investiere ich aus dem Kapitalstock in Mikrofinanz, entspricht das meinem Satzungszweck und ist Mission Investing. Investiere ich in ein soziales Projekt, wir haben unter anderem einer Bürgerstiftung in der Pfalz ein Darlehen gegeben, damit sie zwölf Menschen mit Behinderung in einem Hotel für nachhaltige Tagungen beschäftigen können, ist es Impact Investing. Das Projekt entspricht nicht dem Satzungszweck. Impact Investing ist praktisch der Oberbegriff und Mission Investing ist der Spezialfall.

Fundraising-Echo: Wie sollte eine Stiftung finanziell und personell aufgestellt sein, um Impact Investing zu machen?

Gerhard Bissinger: Das ist völlig unabhängig von der Größe der Stiftung. Die BMW-Stiftung kann es genauso gut wie eine kleine Stiftung mit einem Mindestkapital von 50.000 Euro machen. Oikocredit, ein großer Mikro-Refinanzierer, ist mit einer Milliarde am Markt. Trotzdem kann jeder in die holländische Genossenschaft mit 200 Euro einsteigen. Eine kleine Stiftung könnte zum Beispiel 5.000 Euro dort anlegen, die BMW-Stiftung dagegen drei Millionen.
Impact Investing heißt nicht, dass Sie mit Eigenkapital in ein Start-up investieren. Das Risiko wäre zu groß, dass bei einer möglichen Insolvenz für die kleine Stiftung das ganze Kapital weg ist. Das ist zwar auch Impact Investing, aber in der riskantesten Form. Das überlässt man lieber Stiftungen, die viel Kapital haben. Kleines Impact Investing kann jeder machen. Oikocredit gibt es seit 40 Jahren und niemand hat bisher einen Cent verloren. Sie zahlen zwei Prozent Dividende seit 15 Jahren. Da haben Sie als Stiftung das doppelte Impact Investing: Ihr Geld arbeitet sozial, ethisch sowie nachhaltig und Sie erzielen zwei Prozent Dividende. Was bei den momentanen Niedrigzinsen nicht schlecht ist. Impact Investing hängt nicht von der Größe ab.

Fundraising-Echo: Die Vergabe von Mikrokrediten steht seit Längerem in der Kritik. 2010 kam es zu einer Selbstmordwelle unter Mikrokreditnehmerinnen im indischen Andhra Pradesh. Wie stehen Sie dazu?

Gerhard Bissinger: Es ist genauso, als wenn Sie sagen würden, durch das Autofahren gibt es jährlich viele Verkehrstote und deshalb verbieten wir die Autos. Es geht doch darum, wie man mit dem Auto fährt. Genauso ist es mit Mikrokrediten. Damit die Finanzierung mit Mikrokrediten glückt, muss man sich an die von Muhammad Yunus aufgestellten Kriterien halten. Rückt man davon ab, um Geld zu sparen, funktioniert die Finanzierung nicht mehr. Die aufgestellten Kriterien kosten alle Geld. Die Kreditnehmer müssen intensiv betreut werden. Außerdem wird der Kredit nur für ein Business vergeben. Konsumentenkredite sind nicht im Sinne von Mikrofinanz. Zusätzlich ist es unerlässlich, in den Ländern Strukturen zu schaffen, die eine Form von Kreditaufsicht beziehungsweise einen Austausch unter den Mikrofinanzinstitutionen möglich machen.
Damals wollten die Kreditgeber Administrationskosten sparen. Sie sind nicht wie vorgesehen wöchentlich ins Dorf gefahren, sondern einmal im Monat, um das Geld einzusammeln. Dadurch verloren sie die Bindung zum Kreditnehmer, sahen nicht, wenn etwas schieflief, und konnten entsprechend nicht rechtzeitig eingreifen. Zusätzlich war in der Zeit viel zu viel Geld im Umlauf. Es gab letztlich mehr Geld als Mikrofinanznehmer mit guten Geschäftsideen. Ein seriöses Mikrofinanzinstitut sagt auch mal Nein. Es hat keinen Sinn, der 15. Friseur im Dorf zu sein. Aus den Ereignissen von 2010 hat man gelernt. Die Kreditnehmer werden heute besser beraten. Was ist ein Zins? Wie viel muss ich zurückzahlen? Und so weiter. Nach dem Nobelpreis 2006 hatten sich alle auf Mikrokredite gestürzt.

Fundraising-Echo: Haben Sie ein Lieblingsprojekt?

Gerhard Bissinger: Mein Lieblingsprojekt ist die Adakavi Bank in Sierra Leone. In einem der ärmsten Länder der Welt einen Partner gefunden zu haben, der ein funktionierendes Social Business zum Wohle von 320 Frauen aufgebaut hat, die sich mit 60 Euro ein eigenes Geschäft finanzieren, erfüllt mich mit Stolz.
 

Gerhard Bissinger (60), Mitglied des Expertenkreises Impact Investing des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, wohnt in Hamburg und ist verheiratet mit großer Familie. Er war 30 Jahre in Leitungs- und internationalen Stabspositionen bei Unilever tätig und errichtete 2009 die Social Business Stiftung, deren Kapitalstock zu 100 Prozent als Impact Investing in soziale und entwicklungspolitische Projekte investiert ist und auf der Förderseite Menschen als Partner auf Augenhöhe weltweit fördert.
www.social-business-stiftung.org, E-Mail: Gerhard.Bissinger@social-business-stiftung.org,
Fon: +49 (0) 175/4178101

 

Publikation: 
Rubrik: