Kolumne
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Fundraising mit Risiko: Jahrelang schlaflose Nächte

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Ausgerechnet den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hatte sich der Landmaschinenhändler aus Bargteheide bei Hamburg zum Ziel gesetzt. Schon seit seiner Gymnasialzeit schwärmte Wilhelm von Boddien von dem Projekt, das ihn seit der Wiedervereinigung mit Haut und Haaren beschäftigte. Darüber veröffentlichte er ein Buch, das zu den aufregendsten Abenteuerbüchern gehört, die in Deutschland über Fundraising je geschrieben wurden.*

Über die Risiken von Projekten, die auf freiwilligen Zuwendungen basieren, wird wenig geschrieben. Wenn sie nicht gelingen, ist die Blamage der Initiatoren grenzenlos, weil sie sich und anderen etwas vorgemacht haben, auch wenn die Gründe für ihr Scheitern am wenigsten bei ihnen selbst liegen. Die Gegner fühlen sich bestätigt, die gutgläubigen Geber hereingelegt.

„Mit rationalem Denken hatte das nicht viel zu tun,“ schreibt Boddien. „Es war Leidenschaft, die uns und mich bewegten, aber letztlich mit Fortunas oder gar Gottes Segen den Erfolg herbeiführte. Seitdem halte ich mich für verrückt.“ Als Boddien Anfang der Neunzigerjahre mit großem Idealismus an das Abenteuer Finanzierung des Wiederaufbaus ging, waren es Naivität und Ahnungslosigkeit, die ihn an Großes glauben ließen. Doch die Skepsis war allgemein, das Interesse der Öffentlichkeit am Berliner Schloss gering. Er und seine Freunde trafen die bahnbrechende Entscheidung, den potenziellen Förderern erst einmal zu zeigen, wie das im Februar 1945 von Bomben teilweise zerstörte und 1950 gesprengte Gebäude früher aussah. Er engagierte eine französische Künstlerin, die mit fünfzig Schülern und Studenten eine PVC-Folie in den historischen Dimensionen anfertigte, die mit Genehmigung der Berliner Behörden von Juli 1993 bis September 1994 an einem riesigen Raumgerüst hängend große Teile des Schlosses vor der Zerstörung simulierte. Das kostete Millionen, die in kürzester Zeit beschafft werden mussten, weil bei einem Wettbewerb bis Mai 1994 die künftige Gestaltung der Spreeinsel bestimmt werden sollte.

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

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Boddien hatte keine Ahnung von Fundraising. Als der Chef einer damals einflussreichen Berliner Bank die Entscheider der wichtigsten Bauträger, Bauunternehmen, Investoren und Developer der Berliner Baubranche, die im Bauboom nach der Vereinigung auf üppige Aufträge hofften, zu einem feudalen Benefizdinner einlud, hielt Boddien eine brave Rede. Dann stand der Gastgeber auf und sagte „Herr von Boddien, ich merke, Sie verstehen nichts vom Geschäft!“ Und übernahm selbst den Fundraisingpart. Er schlug vor, dass alle Anwesenden Boddien sofort oder gleich nach dem Essen eine Visitenkarte geben, auf deren Rückseite sie einen verpflichtenden Betrag schreiben sollten. Den werde die Bank ohne Zögern vom jeweiligen Konto abbuchen, wenn es tatsächlich zum Aufbau der Schloss-Simulation kommen sollte. Das funktionierte, sicherte aber die Vorfinanzierung nicht.

Boddien benötigte eine ganze Lawine von Spenden für das Millionenvorhaben. Um sie loszutreten, gab er eine Bürgschaft, deren Fälligwerden seine Firma in den Konkurs hätte treiben können. Seiner Frau und seinen fünf Kindern sagte er nichts davon. „Fast drei Jahre lang hatte ich immer wieder Albträume und setzte mich mitten in der Nacht auf. Meine Frau wunderte sich darüber, dass ich wirres, unverständliches Zeug vor mich hinredete. Wenn sie mich dann weckte, erinnerte ich mich vorgeblich an nichts mehr und versuchte, sie zu beschwichtigen.“

Die Simulation klappte, und das Buch enthält eine ganze Menge praktischer Anleitungen und Anekdoten, wie das in seiner ganzen Stattlichkeit sichtbare Bauwerk den Funken überspringen ließ, das Projekt international bekannt machte und schließlich zum Beschluss des Bundestages vom 2. Juli 2002 führte, nach dem der Wiederaufbau aus Bundesmitteln, die historische Fassade und die Extras durch Spenden finanziert werden sollten. 677 Millionen Euro wurden bis jetzt aufgebracht, davon 110 Millionen von dem von Boddien und Freunden 1992 gegründeten Förderverein. 50.000 Spenderinnen und Spender, vor allem aus Berlin und dem übrigen Deutschland, trugen dazu bei, dass das Fundraising-Ziel erreicht werden konnte.
Groß war der Widerstand, vor allem in den Medien und der Fachwelt, die den Laien den Erfolg nicht gönnten und von der fundamentalen Ablehnung des Nachbaus historischer Gebäude bis hin zum Vorwurf der Rechtslastigkeit einzelner Förderer alles ins Feld führte, was das Projekt madigmachen konnte. Eine wichtige Rolle spielte anfangs die Tatsache, dass der Wiederaufbau des Schlosses den Abriss des Palastes der Republik bedingte, des asbestbelasteten Vorzeigeobjekts der untergegangen DDR.
Durch ihre Attacken wurden die Gegner gegen ihren Willen wichtige Förderer des Projekts. Sie hielten das Interesse am Wiederaufbau wach und stärkten die Befürworter, die sehen wollten, dass aus ihrer Unterstützung etwas wurde, ein Phänomen, für das es viele Beispiele gibt.

Boddien hat sich nicht als Fundraiser bezeichnet, aber fürs Fundraising doch einige gute Ratschläge formuliert:

  • Klarheit, Ehrlichkeit, Offenheit, Planung und eine strenge Orientierung an den Menschen, die man gewinnen will, sind Voraussetzungen für erfolgreiche Mittelbeschaffung.
  • Freundlich und offen auf die Kontrahenten zugehen und sie zu Wort kommen lassen. Die Festrede beim offiziellen Start der Kampagne zum Wiederaufbau hielt ein bisher nur als Gegner bekannter angesehener Kunsthistoriker, der am Ende einer 25-minütigen Philippika gegen den Wiederaufbau überraschend bekannte: „Herr von Boddien, aber wenn ich die Augen schließe, träume ich davon, das Schloss wäre wieder da. Und wenn ich sie dann öffne und das Schloss ist wieder da, wäre ich der glücklichste Mensch auf Erden.“ Stehender Applaus. Der Durchbruch.
  • Ausschließlich professionell arbeiten. „Wenn wir einen Fehler machten, durften wir ihn höchstens einmal begehen.“ (Boddien)
  • Beharrlich, notfalls aufdringlich sein Ziel verfolgen, Überzeugungsarbeit leisten, aber nicht direkt die Hand aufhalten.
  • Einflussreiche, hochrangige Unterstützer gewinnen und als Multiplikatoren und Zeugen für Seriosität nutzen.
  • Alle denkbaren Zeichen der Dankbarkeit gegenüber jedem Förderer zeigen, ganz gleich mit welchem Betrag er oder sie kommt. Für öffentliche Anerkennung der Unterstützer sorgen.
  • Die Politik gewinnen und mit niedrigen Kostenschätzungen einsteigen.
  • Die Medienarbeit in einer Hand behalten, möglichst der eigenen.
  • Einen kurzen, einprägsamen Namen für das Projekt und einen Förderverein finden. Lange Namen werden von den Medien willkürlich gekürzt,
  • sich die heitere Fröhlichkeit des eigenen Tuns erhalten.

 

* Wilhelm von Boddien (2022): Abenteuer Berliner Schloss. Erinnerung eines Idealisten. 2. aktualisierte und korrigierte Auflage, Berlin: Wasmuth & Zohlen Verlag.

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Über den Kolumnisten
Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@t-online.de

 

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