Kolumne
Kolumne
Kolumne

von Dr. Christoph Müllerleile

Friendraising ja, aber mit echten Freunden

Stellen Sie sich vor, Sie finden folgende Einladung in Ihrer Mailbox: „Du und eine Begleitung seid herzlich eingeladen zum 11. jährlichen Bleib-einfach-zu-Hause-Benefizabend am Sonntag, 30. Mai 2021. Ort: in häuslicher Bequemlichkeit. Anlass: Hilfe für die Landwirtschaft in Guatemala. Kleiderordnung: Anzug und Krawatte beliebig. Aber Du brauchst nicht nach passender Kleidung zu suchen, langweilige Reden anzuhören und halb gare Hähnchenbrust mit grünen Bohnen und schlechtem Wein zu verkosten. Klick einfach auf meine Heifer-Spendenseite. Verdiente Spenderinnen und Spender, die mehr als fünf Jahre hintereinander teilgenommen haben, werden mit dem Treuepreis 2021 ausgezeichnet. Jeder Gast nimmt an der Verlosung wertvoller Preise teil. Die Ziehung ist auf Facebook und Instagram zu sehen. Ein anonymer Spender verdoppelt jede Spende bis zum Gesamtbetrag von 15.000 Dollar. Bedingung: Sie muss bis zum 30. Mai um 11:59 Uhr eingegangen sein.“

Nun könnte man meinen, die Leute spendeten lieber direkt an Heifer statt an Marianne Muellerleile in Los Angeles. Aber ihr Spendenkonto bei Heifer füllte sich letztes Jahr mit über 40.000 Dollar. Die Truppe freiwilliger Heifer-Fundraiserinnen und Fundraiser, der sie sich angeschlossen hat, will den Gewürzanbau in Guatemala nach der Heifer-Methode innerhalb von drei Jahren mit einer Million Dollar fördern. 800.000 sind zur Halbzeit schon beisammen.

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

0

Fundraising-Events sind in den USA äußerst beliebt. Es ist üblich, Freundinnen und Freunde einzuladen und bewusst um größere Spenden zu bitten. Marianne, die schon älter ist und keinen größeren organisatorischen Aufwand mehr betreiben möchte, hat einen großen Freundeskreis. Sie ist Schauspielerin mit Nebenrollen und Auftritten in Werbespots. Auf eigene Kosten besuchte sie Heifer-Projekte in aller Welt. Sie sammelt aus voller Überzeugung und unerschrocken. Ihr überschwänglicher Dank kommt per E-Mail in Minutenschnelle, nachdem Heifer ihr den Eingang meiner PayPal-Spende gemeldet hat.

Bei uns in Deutschland stößt Fundraising bei Freunden und Bekannten auf Vorbehalte. Private Benefizevents sind keine gängige Praxis. „Beim Geld hört die Freundschaft auf,“ lautet die übliche Entschuldigung. Akute Notlagen führen zu spontaner Hilfs- und Gebebereitschaft. Das Crowdfunding und ähnliche Methoden, bei der guten Tat auf Distanz zu bleiben, blühen. Nur wenige trauen sich, Freunde und gute Bekannte um Spenden für Daueranliegen zu bitten. Die Gesellschaft bewertet Fundraising immer noch als aufdringliche Bettelei und macht sich über gescheiterte Mäzene lustig. Wer sich dennoch aufrafft, den Freundes- und Bekanntenkreis nach Spenden abzugrasen, empfindet verweigerte Spendenbitten als Beleidigung. Wenn Prominente und Vorständler sich mal selbst mit der Sammelbüchse auf die Straße trauen, dann nur, solange die Presse dabei ist und auch dann nur für eine Viertelstunde.

Statt Freunde anzusprechen und auch ein Nein zu riskieren, reden wir gerne darüber, fremde Spenderinnen und Spender zu Freunden zu machen. Friendraising ist in, weil wir uns einbilden, dass aus Gabebeziehungen Freundschaften entstehen könnten. Dabei wäre es viel leichter, aus Menschen, die uns schon nahestehen, auch Freundinnen und Freunde für die gute Sache zu machen, für die wir stehen.

Wenn wir selbst uns das nicht zutrauen, können wir zu den Mariannes in unserer Umgebung gehen, den bekannten Künstlerinnen und Künstlern mit großem Bekanntenkreis, die gerne Gutes tun und ebenso gerne in der Öffentlichkeit stehen. Bilden wir Netzwerke der Netzwerker. Die Pandemie gibt uns die Möglichkeit, auf die aufwendige Organisation von Präsenzveranstaltungen zu verzichten. Machen wir’s wie Marianne: Überraschen wir unsere Freunde mit einer Einladung, die sie wahrnehmen müssen, weil es keine Ausreden mehr gibt.

Marianne wird auch nach Corona ihre jährlichen „Just Stay Home Fundraiser“ veranstalten. Denn ihre Freunde haben sich daran gewöhnt.

 

0

Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@t-online.de

 

0