Kolumne
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von Dr. Christoph Müllerleile

„Besser Geld spenden als fünfzig Hosen“

„Besser Geld spenden als fünfzig Hosen.“ So stand es auf der ZDF-Webseite, denn nach den Hochwasserfluten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ging eine Flut von Sachspenden ein. Sie sammelten sich innerhalb von Stunden nach den Ereignissen vom 14. Juli in Garagen und dann in großen Hallen, wo sie auf Sortierung und Transport warteten. „Wir ersticken momentan in Sachspenden“, wurde ein Verbandsbürgermeister zitiert.

Die Flutkatastrophe ist ein Lehrstück für überwältigende, aber auch gut gemanagte freiwillige Hilfe, denn sie mündete nicht in Bilder von enttäuschten Hilfsbereiten und nutzlos herumliegenden Liebesgaben, sondern in Geschichten von Heldinnen und Helden, die immer wiederkamen, sich willig einsetzen ließen, Keller mit giftiger, stinkender Brühe ausschöpften, Sperrmüll aus den Häusern und Straßen räumten und so den Wiederaufbau vorbereiteten.

Auch Geld floss reichlich. Die Fernsehanstalten riefen Spendentage aus. Am schnellsten war die Mediengruppe RTL mit ihrer Aktion „Wir helfen Kindern“, die den 21. Juli zum Tag der Hilfe erklärte und bis Ende Juli 6,7 Millionen Euro für den Wiederaufbau von zerstörten Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche sammelte. Die ARD erzielte unter dem Motto „Wir halten zusammen“ bis zum 30. Juli 71,3 Millionen Euro, davon 8 Millionen über eine Live-Benefizgala am 23. Juli im Ersten und in den dritten Fernsehprogrammen und Spendenaufrufen auf allen ihren Radiosendern und digitalen Medien. Sat1 brachte es bei seiner Benefizgala am nächsten Abend auf 31,2 Millionen Euro, bestehend aus Kleinspenden und großen Zuwendungen von Firmen. Die Schwarz-Gruppe setzte während der Sendung noch 10 Millionen drauf. ARD und Sat1 ließen die Spenden über Aktion Deutschland Hilft (ADH) abwickeln.

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

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Auch das ZDF rief in seinen Sendungen kontinuierlich zum Spenden auf und wählte als Plattform das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe von Caritas international, Deutschem Rotem Kreuz und Diakonie Katastrophenhilfe. 52 Millionen Euro sind laut Senderangaben bis zum 27. Juli zusammengekommen.

In Nordrhein-Westfalen sammelte zudem Aktion Lichtblicke, das Spendenbündnis der Lokalradios, für die Fluthilfe von Diakonie und Caritas im Bundesland.

Mehrere Faktoren kommen der Gabebereitschaft zugute:

  1. Die Betroffenen sind unschuldige Opfer des allseits diskutierten Klimawandels.
     
  2. Potenziell Fördernde konnten sich mit den Betroffenen infolge geografischer, sprachlicher und kultureller Nähe identifizieren.
     
  3. Über das Katastrophengeschehen wurde auf allen Kanälen umfassend informiert, das Wissen ständig aktualisiert und als permanentes Storytelling mit hohem emotionalem Gehalt übermittelt.
     
  4. Hilfsbereitschaft ist gesellschaftlich anerkannt. Wer hilft, kann Heldenstatus erlangen. Wer nicht hilft, isoliert sich.
     
  5. Wer keine persönliche Hilfe leisten kann, bleibt mit Spenden Teil des Geschehens.
     
  6. Die Pandemie stärkt die Sehnsucht nach dem solidarischen Miteinander.
     
  7. Bevorstehende Bundestagswahlen stärken den Willen der Entscheider, sich als rasch handelnde Krisenmanager zu beweisen.

Begünstigt durch den enormen Hilfsdruck ist die Spendenlandschaft rund um die Hochwasserkatastrophe inzwischen unübersichtlich geworden. Die Spendenappelle überkreuzen sich. Die in Spendenbündnissen organisierten Hilfsorganisationen sammeln parallel zusätzlich für sich selbst. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung ein eigenes Bündnis „NRW hilft“ aufgemacht, bei dem das Land unter Federführung des Roten Kreuzes für einen Pool von Hilfsorganisationen sammelt, die auch im Aktionsbündnis Katastrophenhilfe und in der Aktion Lichtblicke vertreten sind. Jeder betroffene Landkreis, jede betroffene Kommune, Hunderte von Vereinen und Initiativen haben eigene Spendenkonten eröffnet, manche mit unklarem Kompetenzhintergrund. So entsteht eine schwierige Gemengelage von fördernden oder operativ oder in beiden Bereichen tätigen Organisationen, von öffentlichen und privaten Mitteln. Der Mittelabfluss ist unklar. Das Geld soll nicht nur für Soforthilfe, sondern auch für mittel- und langfristige Maßnahmen reichen. Einheitliche Kriterien für die Verteilung der Gelder gibt es nicht; eine Datenbank zur Vermeidung von Doppelzuwendungen und Betrug soll in Vorbereitung sein.

Die größte Herausforderung an nachhaltige Spendenbereitschaft und das Ansehen von Katastrophenhilfe kommt erst noch, wenn sich Flutopfer und ihre Fürsprecher öffentlich beklagen, dass sie außer Versprechungen nichts bekommen haben, während bei Nachbarn bereits nagelneue Autos vor frisch renovierten Häusern stehen.

 

 

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Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@t-online.de

 

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