„Kontrolle ist sehr wichtig für unser Glück“

Von Claudia Wohlert

Früher nahm man an, dass das Glück dem Menschen in die Wiege gelegt sei und er nur wenig daran ändern könne. Die heutige Glücksforschung widerspricht dem. Wie jeder Einzelne zu seinem Glück etwas beitragen kann und warum soziales Engagement und etwas vererben sich zu wichtigen Glücksauslösern entwickeln können, klärt Claudia Wohlert im Gespräch mit der Glücksforscherin Professorin Hilke Brockmann. 

Fundraising-Echo: Ist der Mensch fürs Glücklichsein gemacht?

Prof. Hilke Brockmann: Ja, weil wir alle nach dem Glück streben. Aber zunächst einmal möchte ich definieren, was unter glücklich sein zu verstehen ist, denn nur das subjektive Wohlbefinden ist Gegenstand der empirischen Forschung. Glücklich sein beinhaltet immer die Suche nach positiven, angenehmen Erlebnissen, Erfahrungen sowie Umgebungen, die meinem individuellen Wohlbefinden oder meinem Leben zuträglich sind. Es ist die empirisch sichtbare Reaktion des Individuums auf Einflüsse. Sie können zum einen von außen kommen, als warm oder kalt, in Form von sozialen Ansammlungen oder Einsamkeit. Das Glück kann aber auch mental gespeichert sein. Auf jeden Fall ist es die Suche nach einer positiven Erfahrung. Das Streben nach Glück ist das zentrale Handlungsmotiv.

Fundraising-Echo: Wodurch kann Glück entstehen?

Prof. Brockmann Prof. Hilke Brockmann. Foto: © Brockmann Prof. Hilke Brockmann: Kontrolle ist sehr wichtig für unser Glück. Erreiche ich die von mir gesteckten Ziele, habe ich das Gefühl, meine Umwelt kontrollieren zu können. In dem Moment bin ich Herr meines Lebens sowie meiner Ideen. Außerdem ist das Zusammensein mit der Familie und den Freunden für das persönliche Glück wichtig. Überall dort, wo die Menschen viel Autonomie erleben, wo es nicht darauf ankommt, fremdbestimmte Rollen auszufüllen, entsteht Glück. In hierarchischen Zusammenhängen sind Menschen sehr viel seltener glücklich.

Fundraising-Echo: Haben glückliche Menschen besondere Eigenschaften?

Prof. Hilke Brockmann: Ja, haben sie. Sie sind eher extrovertiert und vergleichen sich durchaus mit Menschen, denen es schlechter geht. Außerdem sind sie sozial. Dadurch ist ihnen bewusst, warum sie auf der Welt und wertvoll sind. Zudem haben diese Menschen eine Idee davon, dass ihr Leben einen Sinn macht.

Fundraising-Echo: Also kann Glück durch soziales Engagement oder eine andere Form des Gebens entstehen?

Prof. Hilke Brockmann: Die Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen zufriedener sind, wenn sie einen religiösen Hintergrund haben beziehungsweise sich sozial engagieren. Sie empfinden sich eingebettet in eine Ethik, eine Moral, die größer ist als sie selbst. Ihr Handeln wird von anderen Menschen wertgeschätzt. Die Gabe, das hat schon Marcel Maus (französischer Soziologe und Ethnologe, Anmerkung der Redaktion) gesagt, ist gleichzeitig das Hoffen, dass es auch etwas zurückgibt. Es kann das unmittelbare, jetzige Lächeln sein. Aber auch jede andere Form von gesellschaftlicher Anerkennung aufgrund von Wohltätigkeit ist möglich. Im übertragenen Sinne zum Beispiel auch bei Geschenken. Der schenkende Mensch hofft, etwas zurückzubekommen, in welcher Form auch immer.  

Fundraising-Echo: Entsteht das gleiche Gefühl auch beim Nehmen?

Prof. Hilke Brockmann: Derjenige, der nimmt, kann sich anerkannt, aber auch schuldig fühlen. Vor allem muss er überlegen, ob er das jemals zurückzahlen kann. Das Nehmen aus einer Position der Bedürftigkeit hat eher etwas Problematisches. Auch bei Spenden muss man herausstellen, dass es nicht nur auf die soziale Unterlegenheit abzielt.
Wie bereits gesagt, der Glückliche ist gern mit anderen zusammen und er vergleicht sich gern nach unten. Wir sind auf andere Menschen angewiesen, um uns vergleichen zu können und unsere relative Position oder Rolle zu finden. Und der, der nimmt, wenn er denn bedürftig ist, nimmt das nicht als Anerkennung seiner Leistung an. Aber es gibt natürlich auch das Gegenteil: die Anerkennung der eigenen Leistung zum Beispiel durch Ehrenmedaillen.

Fundraising-Echo: Die mildtätige Gabe kann demnach problematisch werden?

Prof. Hilke Brockmann: Es ist immer zweischneidig. Habe ich Hunger beziehungsweise kann ich meine Grundbedürfnisse nicht selbst befriedigen, ist es gut, eine mildtätige Gabe zu erhalten. Aber es ist nicht nur so, dass die Gabe mit „breiter Brust“ angenommen wird.

Fundraising-Echo: Soziales Engagement nimmt in der Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert ein. Warum?

Glückliches Paar Wer im Alter glücklich ist und es sich leisten kann, engagiert sich auch gern sozial.
Foto: © Shutterstock
Prof. Hilke Brockmann: Das wachsende soziale Engagement resultiert aus einem steigenden Bildungsniveau und der immer älter werdenden Gesellschaft. Geringere familiäre Verpflichtungen und steigender finanzieller sowie zeitlicher Wohlstand führen zu einem guten Nährboden für soziales Engagement. Die Menschen wollen ihr Leben in einem Kontext sehen und auch über das eigene begrenzte Dasein hinaus wirken. Die ökonomische Forschung hat festgestellt, dass die Menschen etwas vererben wollen. Bei den obersten Gesellschaftsschichten war es schon immer ein erstrebenswertes Gut, etwas zu hinterlassen. Das Erbe spielt in allen Kulturen eine große Rolle.

Fundraising-Echo: Wird unser Leben in Zukunft glücklicher sein?

Prof. Hilke Brockmann: Die Frage der Prognose ist aufgrund des Easterlin-Paradox schwierig zu beantworten. Der Ökonom Richard Easterlin hat nachgewiesen, wie der Lebensstandard gemessen am Bruttosozialprodukt in Amerika immer gestiegen und das Glück ab einer bestimmten Schwelle gleich geblieben ist. Das relative Einkommen ist für das Glück entscheidend. Für das absolute Einkommen ist es wichtig, ein Dach über dem Kopf und ausreichend Essen zu haben. Für Amerika ist die Zufriedenheit am größten bei einem Jahreseinkommen von etwa 75.000 Dollar. Viele Menschen sollten demnach glücklich und gleichzeitig immun gegen finanzielle Anreize sein, sind sie aber nicht. Aus einem einzigen Grund: Sie wollen relativ besser dastehen als die anderen. Die Menschen orientieren sich stark über Vergleiche. Das machen sie auch im Sozialen. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Glück im weitverbreiteten Streben nach ökonomischem Wachstum zu finden ist. Man hatte gehofft, dass dadurch der soziale Aufstieg vieler Menschen ermöglicht wird. Aber leider gibt es den nicht in dem Maße wie das Wachstum.

Fundraising-Echo: Somit bleibt das Glück auf unserem heutigen Niveau?

Prof. Hilke Brockmann: Es gibt andere Möglichkeiten, glücklich zu werden. Die Frage ist nur, ob sie politisch gewollt sind. Gibt man den Menschen zum Beispiel mehr Zeit, um sich in sozialen Situationen aufzuhalten, wo Hierarchie keine Rolle spielt, wo man sich erholt, kann das allgemeine Glücksempfinden steigen. Auch attraktive Wohnraumgestaltung, das Schaffen von Begegnungs- und Bewegungsstätten lassen uns glücklicher werden. Das Soziale ist für das persönliche Glück wichtig. Man muss mehr Situationen schaffen, wo jeder Anerkennung und Wertschätzung erfährt und wo weniger Wettbewerb herrscht.

Zudem spielt die Gesundheit und mehr Freizeit für das Glück eine große Rolle. Auch sollten die Menschen öfter die Gelegenheit bekommen, sich neu erfinden zu müssen. Wir stecken immer noch in einem sehr rigiden Gerüst, wie Karriereverläufe auszusehen haben, wie Berufe gestaltet sein müssen. Wir leben immer noch davon, dass wichtige Entscheidungen in unserem Leben früh getroffen werden, im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Und das hält oft nicht, weil sich die Rahmenbedingungen stark ändern, ob im Beruf oder in der Ehe. Die Menschen bräuchten mehr Freiheit und ein flexibleres Umfeld, was jeden Einzelnen dazu befähigt, sich neu aufzustellen. Da sind die momentanen Formen des sozialen Ausschlusses durch Alter, Geschlecht, Religion, Hautfarbe, sexuelle Präferenz usw. ungünstig. Die Möglichkeit der sozialen Teilhabe massiv zu erweitern, würde mehr Glück schaffen. 

 

Prof. Dr. Hilke Brockmann ist Professorin der Soziologie an der Jacobs Universität Bremen und derzeit als Research Fellow am European University Institute in Italien und am Robert Schumann Center tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Interaktion verschiedener demographischer Gruppen (älterer Menschen, Frauen, Migranten) und der demographischen Dynamik sozialer Ungleichheit und Zufriedenheit („Happiness“). In ihrem neuesten Buch „Human Happiness and the Pursuit of Maximization. Is more always better?“ untersucht sie zusammen mit Autoren aus der Philosophie, Psychologie, Neurowissenschaft, Soziologie sowie Ökonomie das wachstumskritische Potenzial der Glücksforschung.

 

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