„Letztlich ist die Bürgerstiftungsbewegung nur durch die Kraft der vielen machbar geworden.“

Der Bundesverband Deutscher Stiftungen würdigt dieses Jahr mit dem Deutschen Stiftungspreis die 30.000 Bürgerstifterinnen und Bürgerstifter für ihr Engagement in ihren Städten und Dörfern. Seit über 20 Jahren setzen sie sich für viele Gemeinzwecke wie Jugend, Senioren, Kultur oder Umwelt ein. Claudia Wohlert sprach mit Professor Dr. Christian Pfeiffer, Gründer der Bürgerstiftung Hannover, über Vorbilder, Bürgerpower und Einmischung.

Fundraising-Echo: Als Sie 1997 die erste Bürgerstiftung in Deutschland nach dem Vorbild der amerikanischen Community Foundations gründeten, war das mutig oder naiv?

Christian Pfeiffer: Weder noch. Ich hatte schlicht die richtigen Freunde zum Essen eingeladen. Alle drei waren bereit, sich mit 5.000 DM an der Idee zu beteiligen und zum nächsten Mal jeder eine weitere Person mitzubringen, die auch Gründungsstifter werden wollte. Alle waren begeistert von dem Gedanken, dass das der Start einer neuen Form der Finanzierung von Zivilgesellschaft sein könnte.

Professor Dr. Christian Pfeiffer Professor Dr. Christian Pfeiffer © Kerstin Wendt

Fundraising-Echo: Sie waren zu der Zeit nicht der Einzige, der die Idee zur Bürgerstiftung hatte. Der Unternehmer Reinhard Mohn gründete in Gütersloh ebenfalls eine. Hatten Sie sich darüber im Vorfeld ausgetauscht?

Christian Pfeiffer: Anlässlich seines 75-jährigen Geburtstages veranstaltete Herr Mohn in Gütersloh ein Stiftungsforum, zu dem ich wegen unserer Initiative eingeladen war. Es hatte bereits zu der Zeit die ersten Treffen in meinem Freundeskreis gegeben. Wir waren zuversichtlich, dass in Hannover eine Bürgerstiftung nach dem „Bottom-up-Ansatz“ entsteht, und bastelten gerade an unserer Satzung.

Reinhard Mohn hatte an seinem Geburtstag die großartige Idee, angelehnt an das Konzept der Community Foundations, die Stadt Stiftung Gütersloh nach dem „Top-down-Modell“ zu gründen. Ich versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass das dann aber keine Bürgerstiftung wäre. Leider ohne Erfolg. Zwar forderte er die Bürger freundlich auf, mitzumachen, aber letztlich bestimmte er von oben Struktur und Arbeitsweise der Stiftung. Es dauerte zwei Jahre, bis klar war, dass das Konzept so für Bürger nicht attraktiv genug war. Erst dann wurde über eine Satzungsänderung eine demokratische Struktur entwickelt, aus der heraus die Kraft einer Bürgerstiftung entsteht. Erst so wurde aus der Stadt Stiftung Gütersloh eine richtige Bürgerstiftung.

Fundraising-Echo: Welche Motivation hatten die ersten Stifter der Bürgerstiftung Hannover, Ihre Idee einer Bürgerstiftung zu unterstützen?

Christian Pfeiffer: Alle waren begeistert, in der Geburtsstunde einer solchen Initiative dabei zu sein, bei der es darum geht, die Zeitreichen, die Ideenreichen und die Geldreichen einer Stadt unter einen Hut zu bringen und gemeinsam Bürgerpower zu entfalten. Klar war, dass die Stiftung eine demokratische Struktur braucht. Alle Stifter beschlossen die Satzung und wählten anschließend den Stiftungsrat. Dessen Mitglieder wählten wiederum den Vorstand der Bürgerstiftung.

Fundraising-Echo: Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie in der Anfangszeit zu kämpfen?

Christian Pfeiffer: Die größte Hürde war zunächst die Stiftungsaufsicht der Bezirksregierung. Aber sie hatte eben noch keinerlei Erfahrung mit dem Konzept der Bürgerstiftung. Da war schon ein großer Begründungsaufwand notwendig. Den ersten Satzungsentwurf akzeptierte sie nicht. Das Stiftungskapital war ihrer Meinung nach zu klein, um alle vorgeschlagenen Handlungsfelder zu unterstützen. Mit Mühe akzeptierten sie schließlich Jugend, Soziales und Kultur. Ihr Vorschlag war, dass die Stifter der Bürgerstiftung bei höherem Kapitalstock später die Satzung ändern könnten. Und das passiert gerade: Wir ändern zum ersten Mal unsere Satzung, um zum Beispiel auch in dem Bereich Umweltschutz stärker agieren zu können. Alles in allem dauerte es damals von Frühjahr 1996 bis zum Herbst 1997, bis die Satzung förmlich genehmigt wurde.

Fundraising-Echo: Aber Sie hatten auch Glück in der Anfangsphase.

Christian Pfeiffer: Ja. Bei einem Vortrag zum Thema der Prävention von Jugendgewalt hatte ich im Hinblick auf die Finanzierung von Projekten das Konzept der Bürgerstiftung vorgestellt. Diese Idee begeisterte einen der Zuhörer: Graf Karl Konrad von der Groeben. Er erbat dazu von mir ein schriftliches Konzept, lud mich dann zum Essen ein und überreichte mir in Form eines Briefes die Zusicherung, unseren Start und die Verbreitung unserer Idee mit 500.000 DM zu fördern. Dabei folgte er dem Prinzip: Mit warmer Hand zu geben macht mehr Freude als mit kalter. Aufgrund dieser Zuwendung konnten wir sofort loslegen. Und ich konnte zudem mit unserem Werbematerial und Vorträgen bundesweit das Konzept der Bürgerstiftung bekannt machen.

Fundraising-Echo: Was empfinden Sie heute, wenn Sie hören, dass es in Deutschland 408 Bürgerstiftungen gibt?

Christian Pfeiffer: Große Freude. Ich bin ein privilegierter Mensch, weil ich die Chance hatte, in New York diese Entdeckung zu machen. Dort wollte ich mich 1995 über effektivere Hilfen für Gewaltopfer informieren. Zu meiner großen Überraschung wurden mehrere dieser guten Projekte von der Community Foundation New York gefördert. Unabhängig von Staat und Kommune unterstützte diese von vielen Bürgern gegründete Stiftung neue Entwicklungen. Diese Idee begeisterte mich. Letztlich ist die Bürgerstiftungsbewegung nur durch die Kraft der vielen machbar geworden. Diese Botschaft, gemeinsam sind wir stark, das war meine tiefe Überzeugung und das hat funktioniert.

Fundraising-Echo: Für viele Bürger sind Stiftungen elitär und abgehoben, etwas für Akademiker und Wohlhabende. Sie wollten eine Mitmachstiftung, in der alle Bürger sich einbringen können. Wie engagieren sich Menschen, denen keine großen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, in der Bürgerstiftung?

Christian Pfeiffer: Viele sind Zeitstifter, die ehrenamtlich in Projekten oder in der Organisation selbst mitarbeiten. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Auf meiner Radtour 2012 von Wismar bis München, die dazu diente, für die Idee der Bürgerstiftung zu werben, hatte ich eine wunderbare Begegnung mit einem Mitfahrradfahrer. Der Mann erzählte mir, dass er trotz Hartz IV Stifter geworden war. Seine Bürgerstiftung hat ein Konzept entwickelt, das Hartz IV Empfängern ermöglicht, Stifter zu werden, wenn sich die Person über fünf Jahre schriftlich dazu verpflichtet, zehn Euro im Monat zu zahlen. Das machte er. Er konnte daraufhin in der Stifterversammlung mitwirken und wurde Fachmann für Projekte, die sich um arme Menschen kümmerten. Dadurch veränderte sich sein ganzes Leben. Inzwischen wurde er als Sozialexperte in den Stadtrat gewählt und hat eine feste Arbeit.

Fundraising-Echo: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Bürgerstiftung?

Christian Pfeiffer: Dass die Menschen sich von dem niedrigen Zinsniveau nicht beirren lassen. Mehr Spenden statt Zinsen, muss die Antwort sein. Außerdem sollten die Bürgerstiftungen politischer werden, das ist mein zentraler Wunsch. Sie sollen sich einmischen. Sie sollen kommunalpolitisch, nicht parteipolitisch werden. Politisch im Sinne von mehr Partizipation der Bürger. In der Startphase ist man froh, wenn man die kleinen sozialen Projekte finanzieren kann. Wenn man aber mächtiger wird, wie zum Beispiel die Bürgerstiftung Hamburg, hat man die Power, der Stadt zu sagen: Hier ist ein Missstand und wir haben eine Idee, wie man das ändern könnte. Die Finanzierung könnte zu gleichen Teilen von der Stiftung und der Kommune geleistet werden. Untermauern zusätzlich Zeitstifter diese Projekte, dann setzt die Bürgerstiftung einen starken Akzent.

Prof. Dr. Christian Pfeiffer leitete als Jurist und Kriminologe von Oktober 1985 bis Januar 2015 das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Zudem hatte er an der Universität Hannover eine Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug. Zwischen Dezember 2000 und März 2003 war er Justizminister Niedersachsens. 2015 hatte er am John Jay College New York eine Gastprofessur für Kriminologie. Kontakt: c.pfeiffer@kfn.de, Tel +49 (0) 171 1212199

 

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