Mitglieder gekonnt binden

Von Dr. Christoph Müllerleile

 

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph MüllerleileWo drei Deutsche versammelt sind, gründen sie einen Verein. Weitere vier Mitglieder sind schnell gefunden, wenn’s nach dem BGB gehen soll. Dann werben sie um weitere Mitglieder, damit die Anliegen des Vereins finanzierbar sind und natürlich auch, um in der Öffentlichkeit etwas darzustellen.

Mitgliederzahlen werden gerne übertrieben, um Gewicht auf die Lobby-Waage zu bringen. Als ich in einem Bonner Verein Vorsitzender wurde und sah, dass die Anzahl der satzungsmäßigen Mitglieder um 20 Prozent unter der immer angegebenen lag, habe ich den Schnitt trotzdem gemacht und im Internet und im Jahresbericht Eintritte, Austritte und Bestand exakt angegeben. Das führte dazu, dass wir die Ehrung des 500. Mitglieds wieder abblasen mussten. Doch Transparenz bei der Mitglieder‑ und Unterstützerschaft schützt einen Verein oder Verband vor der unvermeidlichen Glaubwürdigkeitslücke. Bei Kundgebungen und Versammlungen lasse ich die Teilnehmer/innen zählen, um mich nicht durch abweichende Angaben anderer unglaubwürdig zu machen.

Mitgliedschaften in deutschen Vereinen und Verbänden sind etwas Besonderes. Während unsere angelsächsischen Kolleginnen und Kollegen Mitgliedschaften alljährlich erneuern müssen und entsprechend um deren „Renewal“ buhlen, gilt bei uns das umgekehrte Prinzip: Wer nicht austritt, bleibt drin. Und der Austritt wird vielfach erschwert: Er muss meist schriftlich beantragt werden, oft mit langer Fristsetzung, der Kirchenaustritt sogar mit persönlichem Erscheinen bei einer Behörde, weil er auch steuerliche Konsequenzen hat.

Manche Vereine und Verbände veröffentlichen die Namen der Ein- und Ausgetretenen. Das habe ich früher als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing, später Deutscher Fundraising Verband, auch so gehalten mit der Folge, dass es vergleichsweise wenige Austritte gab. Der Deutsche Journalistenverband, dem ich lange angehörte, gab sogar Austrittsgründe wie „Berufswechsel“ bekannt, was die Betreffenden journalistische Privilegien kostete. Die soziale Kontrolle hat starke Bindungskraft. Wer austritt, könnte andere in Versuchung führen, muss sich Fragen gefallen lassen. Der Parteiaustritt etwa hat starke Signalwirkung.

Nun ist Mitgliedschaft natürlich nicht gleich Mitgliedschaft. Da gibt es stimmberechtigte Mitglieder und nicht stimmberechtigte Fördermitglieder. Die meisten größeren Organisationen haben dem Anwachsen der Stimmberechtigten einen Riegel vorgeschoben und deren Zahl eng begrenzt. Andere haben regionale Gliederungen gebildet und das Delegiertenprinzip eingeführt, so dass Mitgliederversammlungen nicht in Stadien stattfinden müssen. Nur wenige leisten sich 86.000 direkt stimmberechtigte Mitglieder wie die Deutsche Herzstiftung. Immerhin können Vorstandsmitglieder dort nur auf Vorschlag eines Wahlausschusses gewählt werden. Sonst könnte angesichts dünn besuchter Mitgliederversammlungen eine Busladung Mitglieder aus Hückelhoven leicht den ganzen Verein übernehmen.

Mitglieder an einen Verein zu binden ist in Deutschland leichter als anderswo. Sie zu gewinnen oder wiederzugewinnen, umso schwerer, weil es sich ja fast um eine Lebensentscheidung handelt. Wenn ein Mitglied trotzdem austreten will, sollte er oder sie zumindest nach den Gründen gefragt werden, am besten telefonisch. Als ich nach dreißig Jahren aus einem Menschenrechtsverein austrat, der mich immerhin mal zum Schatzmeister machen wollte, gab es nicht einmal eine Austrittsbestätigung.

Vier andere Organisationen, die ich beim großen Aufräumen verlassen wollte, machten es richtig: Die eine erinnerte an die vielen Opfer, die nun auf meine Hilfe verzichten müssten. Die andere erinnerte an frühere Vorstandstätigkeit und die schönen gemeinsamen Erlebnisse, die ich dem Verein verdankte. Die dritte, eine amerikanische Fundraisingvereinigung, schickte von Oktober bis März Briefe und E-Mails, um mich von den Vorteilen der Mitgliedschaft zu überzeugen. Die vierte, ein regionaler Vogelschutzbund, rief an und stellte mich beitragsfrei. Ich sollte nur einfach dazuzählen. Klar, dass ich dreien der vier noch angehöre und dem großen Opferverein, bei dem ich mal Mitglied Nr. 14 war, wieder beitreten werde.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundraising-buero.de

 

Publikation: