Kolumne
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von Dr. Christoph Müllerleile

Mehr Spenden dank Corona?

Zu Beginn der Corona-Krise galt es als ausgemacht, dass der Spendenfluss mit zunehmender Dauer des gesundheitlichen und wirtschaftlichen Ausnahmezustands abebben und die Spendenbereitschaft allgemein geringer werden wird. Zwar liegen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Kolumne keine Jahresbilanzen vor, aber es gibt Erfahrungswerte aus einem halben Jahr Covid-Einfluss auf das tägliche Zusammenleben.

Und da hört man Erstaunliches, zum Beispiel im „Blaufuchs“-Gespräch von Olav Bouman mit dem Geschäftsführer des Schweizerischen Fundraisingverbands Swissfundraising, Roger Tinner. In der Schweiz steigt das Spendenaufkommen trotz oder sogar wegen Corona. Und ähnliches lässt sich aus Beiträgen in deutschen und österreichischen Netzwerken und Magazinen vermuten.

Das widerlegt diejenigen, die Spendenbereitschaft mit wirtschaftlichem Wohlstand verbinden. Im World Giving Index nehmen sogenannte arme Länder hervorragende Plätze in der Rangfolge der freigebigsten Nationen ein. Gemessen an dem, was wir Deutschen wirklich geben könnten, ohne zu verarmen, liegen wir eher im Mittelfeld, und beim Anteil derer, die überhaupt spenden, auch bei den Zeit- und Sachspenden, gibt es in Deutschland auch im Vergleich mit den deutschsprachigen Nachbarländern viel Luft nach oben.

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

Kolumnist Dr. Christoph Müllerleile

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Spender*innen haben ein Herz für andere, die ohne eigene Schuld in Not geraten sind und sich nicht selbst daraus befreien können. Das trifft besonders auf Katastrophen zu, und die aktuelle Pandemie wird uns noch lange als Dauerkatastrophe beschäftigen. Erstaunlich ist, dass trotz eigener Einschränkungen das Mitleid der Bevölkerung mit dem Schicksal der Menschen in anderen Ländern nicht nachlässt. Im Gegenteil scheint ein Bewusstsein der Solidarität einzuziehen, das sich in der Gebebereitschaft widerspiegelt. Denn während Menschen in wohlhabenden Ländern sich durch milliardenschwere staatliche Hilfsprogramme gesichert fühlen können, verschärft Corona das Elend an den benachteiligten Enden der Welt. Dazu gehören jetzt auch Gegenden, die bisher vom Tourismus gelebt haben. Ich denke, dass die Grenzenlosigkeit von kriegerischen Auseinandersetzungen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Katastrophen den Verantwortungsbewussten klar gemacht haben, dass Abschottung nicht mehr möglich ist und alle mit allen zusammenhängen.

 

Telefonierende Menschen

Trotz Distanz Nähe schaffen? In Zeiten sozialer Distanz sollten Fundraiser vermehrt zum Hörer greifen.

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Dass die Einnahmen am Gemeinwohl orientierter Organisationen in Deutschland in diesem Jahr drastisch sinken werden, ist also nicht zu erwarten. Vielleicht wird die Zahl der Spendenden insgesamt nicht wachsen, zumal wichtige Akquise-Instrumente wie das Face-to-Face-Fundraising und Benefizveranstaltungen mit persönlicher Begegnung entfallen und durch virtuelle Ereignisse nicht zu ersetzen sind.

Eine neue Wertschätzung von Nachhaltigkeit könnte dazu führen, dass mehr Geld über Erbschaften, Vermächtnisse, Schenkungen und Stiftungsgründungen an den gemeinnützigen Sektor fließt. Briefpost, die um Spenden und Nachlässe wirbt, findet in Zeiten leerer Briefkästen, zurückhaltender Reisetätigkeit und geringerer Ablenkungen aufmerksamere Leser*innen als üblich. Eine verstärkte Nutzung des Telefons zu persönlicher Begegnung auf Distanz ist angebracht.

Spenden und Beiträge können die corona-bedingten Verluste bei Einrichtungen mit einem hohen Einnahmeanteil aus wirtschaftlichem Zweckbetrieb, Sponsoring und Firmenspenden jedoch nicht ausgleichen. Sie sind auf staatliche Überbrückungshilfe angewiesen, denn sie sind im Gegenzug auch für den Staat unersetzlich. Es war gut, dass der Fundraising Verband und andere darauf hingewiesen haben. Denn auch freiwillige Zuwendungen haben ihre Grenzen.

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Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@t-online.de

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