Optimiertes Spenden – Kopf über Herz?

von Ute Stolpe

Mann auf Fahrrad Effektive Altruisten beschränken ihr Leben auf das Notwendigste und verzichten zum Beispiel auf ein Auto. © Pixabay

Effektive Altruisten (EA) sind überwiegend junge Menschen zwischen Anfang zwanzig und Mitte dreißig, die sich in den vergangenen zehn Jahren zu Tausenden in Australien, Europa und den USA einer neuen Denkschule und Bewegung angeschlossen haben: Sie verpflichten sich, einen festgelegten Teil ihres Einkommens regelmäßig zu spenden. Ihr Ziel: Eine Welt ohne extremes Leid. Gutes tun alleine reiche Ihnen aber nicht, man solle es vor allem so effektiv wie möglich tun!
Unter dem Dach der Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS) mit Sitz in Berlin haben sich im deutschsprachigen Raum seit 2011 fast 50 Lokalgruppen gegründet, überwiegend in Hochschulstädten. Typischerweise hat ein EA, so die Abkürzung, einen akademischen Abschluss, meist in den Bereichen Informatik, Mathematik oder Wirtschaftswissenschaften.

Nächstenliebe ganz rational?
Bei ihrer Entscheidung, welche Organisation oder welches Projekt Effektive Altruisten unterstützen, lassen sie sich nicht von ihren Gefühlen leiten, sondern sie entscheiden nach rationalen Argumenten und Empfehlungen von Hilfswerk-Evaluatoren wie zum Beispiel GiveWell. Diese berechnen auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie sich pro Euro die größtmögliche Wirkung erreichen lässt.
Darum entscheiden sich Effektive Altruisten beispielsweise dafür, ihre Spende für ein Programm zur Bekämpfung von Malaria zu geben, statt für die Behandlung von HIV-Kranken. Ihr Argument: Im ersten Fall ermöglichen rund einhundert Euro ein zusätzliches Lebensjahr. Bei einer HIV-Behandlung müssten für das gleiche Ergebnis dagegen etwa 5.000 Euro aufgewendet werden. Aus demselben Grund würden EA nicht in die Ausbildung eines Blindenhundes investieren, denn die dafür benötigten 10.000 Euro ermöglichen in Afrika die Augenoperationen von 300 Kindern.
So rational Effektive Altruisten spenden, so rational sind sie auch bereit ihr ganzes Leben umzukrempeln, um möglichst viel ihres zur Verfügung stehenden Einkommens in eine bessere Welt zu investieren. Manche wechseln sogar ihr Studienfach oder ihren Beruf, um dadurch mehr zu verdienen und noch mehr für andere geben zu können. Sie beschränken ihr eigenes Leben auf das Notwendigste, verzichten dafür zum Beispiel auf ein Auto, eine größere Wohnung, unnötige Kleidung und Dinge oder teure Reisen. Die Spendenbereitschaft liegt im Mittel bei zehn Prozent des Einkommens, manche geben bis zu fünfzig Prozent in EA-Projekte.

Wer bewertet die Wirksamkeit von Spenden?
Effektive Altruisten als Förderer eigener Projekte zu gewinnen, kann für Organisationen also ein lohnendes Ziel sein. Allerdings gibt es derzeit keine deutschen Organisationen, die im Empfehlungskanon der Stiftung für Effektiven Altruismus erscheint. Das liegt unter anderem daran, dass GiveWell, statt viele Organisationen zu bewerten, sich lieber darauf konzentriert, eine überschaubare Zahl von Organisationen zu empfehlen, die nach ihren eigenen Maßstäben die optimalsten Möglichkeiten der Spendenverwendung bieten. Der Hilfswerk-Evaluator fordert von Projekten und Organisationen eine sehr hohe Kosteneffizienz und unabhängige Beweise für die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel. GiveWell führt dann selbst noch einen intensiven und langwierigen Evaluierungsprozess zur Bewertung und schließlich auch Empfehlung einer Organisation durch. Neben GiveWell gibt es weitere Organisationen, die Empfehlungen geben, wie größere Beträge möglichst effektiv eingesetzt werden können, um das Leben der Ärmsten der Welt zu verbessern (siehe Infokasten).
Doch es gibt auch Stimmen, die die ganz und gar rationale Methode kritisch sehen. Wird hier nicht menschliches Leid gegeneinander ausgespielt, wenn ich dem Obdachlosen in unserer Fußgängerzone Hilfe verweigere, weil ich mit demselben Betrag in Afrika mehr gewonnene Lebensjahre erzielen kann? Und die Kritik geht noch weiter: Wer versuche, die Probleme der Welt zu lösen, ohne nachzufragen woher diese Probleme kommen, wird die problematischen Strukturen nicht verändern und somit keine nachhaltige Veränderung zum Besseren erreichen.

Was also tun?
Beim Helfen und Spenden den Verstand einzuschalten ist sicher nicht verkehrt. Doch nicht jede und jeder muss zum Effektiven Altruisten werden. Allerdings kann es sich für Organisationen und Spender durchaus lohnen genauer hinzuschauen, denn nicht jedes Hilfsprojekt oder Engagement ist wirklich hilfreich und wirksam.
Für gemeinnützige Organisationen bietet die neue Bewegung aber auch neue Möglichkeiten gezielt eine gut definierte Spendergruppe anzusprechen. Denn es gibt immer wieder Projekte, die sinnvoll und notwendig sind, für die es aber schwer ist, mittels klassischem Spendenmailing ausreichend Spender zu finden. Hier bietet sich die gezielte Suche nach Unterstützern an, die eher rational und mit harten Fakten zu überzeugen sind, als über Gefühle.
Grundsätzlich sollte gelten: Wer ein neues Projekt starten möchte, sollte sehr genau nachfragen, welche Hilfe wirklich benötigt wird. Ganz nach dem Motto: Statt über Afrika zu reden, lieber mit Afrikanern reden. Bei jedem neuen Projekt sollten auch mögliche Alternativen sorgfältig geprüft werden. Und neben einer guten Planung ist es dann durchaus empfehlenswert, die Wirksamkeit der Maßnahmen auch (möglichst unabhängig) überprüfen zu lassen.


 

Hilfswerk-Evaluatoren:

Die Phineo gAG in Berlin ist eine Analyse- und Beratungsgesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Zivilgesellschaft zu stärken. Seit 2010 unterstützt Phineo gemeinnützige Organisationen, Stiftungen und Unternehmen mit Wirkungsanalysen, einem kostenfreien Gütesiegel, Publikationen, Workshops und Beratung, sich erfolgreich zu engagieren.
Die Analyse erfolgt nach einem vierstufigen Verfahren, das gemeinnützigen Organisationen aller Art und Größe offensteht. Am Ende entscheiden unabhängige Experten, welche Projekte oder Organisationen empfohlen werden und das Wirkt-Siegel erhalten. Für gemeinnützige Organisationen ist die Analyse kostenfrei, da die gemeinnützige Arbeit von Phineo von den Gesellschaftern und Partnern finanziert wird.
Link: https://www.phineo.org

Der Global Innovation Fund (GIF) ist ein gemeinnütziger Innovationsfonds mit Sitz in London und einem Büro in Washington DC, der in die Entwicklung, Erprobung und Skalierung von Innovationen investiert. Mit Zuschüssen und Risikokapital ist der GIF bereit, neue Lösungen für globale Entwicklungsherausforderungen von gewinnorientierten Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen, Forschern und Regierungsbehörden zu unterstützen.
Voraussetzung: die Innovation verbessert das Leben derjenigen, die mit weniger als fünf US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Der GIF ist daran interessiert, die ursächliche Wirkung von Innovationen auf die Ergebnisse zu ermitteln, die eng mit dem Wohlbefinden der Menschen zusammenhängen und sich als wirtschaftlich erweisen.
Link: https://globalinnovation.fund/

Ähnlich ausgerichtet in ihren Aktivitäten ist die International Initiative for Impact Evaluation (3ie). Das Unternehmen mit Büros in Delhi, London und Washington, DC, fördert eine nachweislich integrative und nachhaltige Entwicklung. 3ie finanziert und erstellt zum Beispiel Nachweise für die Wirksamkeit von Entwicklungsprojekten. So sollen fundierte Antworten gefunden werden, was für wen, warum und zu welchen Kosten in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen am besten funktioniert.
3ie ist eine Mitgliederorganisation mit öffentlichen und privaten Geldgebern, Regierungsbehörden aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (L & MIC) und NGOs. Sie alle haben sich verpflichtet, ihre Richtlinien und Programme systematisch zu überprüfen und auch die Folgen kritisch abzuschätzen, um weitere Aktivitäten zu verbessern.
Link: http://www.3ieimpact.org/

 

Publikation: 
Rubrik: