Spendenwerbung geht nur mit Gefühl

Von Dr. Christoph Müllerleile

 

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph MüllerleileWas ist „unangemessene Emotionalisierung“ in der Spendenwerbung? Beim jüngsten Fundraising-Kongress in Berlin standen Kolleginnen und Kollegen spontan auf, als am Galaabend ein kurzer Film gezeigt wurde, in dem auch hungernde Kinder vorkamen. Hinterher wurde gefordert, dass sich der Fundraising Verband als Veranstalter gefälligst an die eigenen Grundregeln halten und emotionale Spendenwerbung verbannen sollte.

Das ist leichter gesagt als getan. Zum einen stößt man damit eine prominente Charity-Persönlichkeit vor den Kopf, die man selbst eingeladen hat und deren Spendenerfolge ganz wesentlich auf der öffentlichen Anteilnahme am Leid beruhen. Zum andern muss sich der Verband natürlich die Frage gefallen lassen, was unter einer „unangemessenen Emotionalisierung“ zu verstehen ist. Darf denn das Elend von Menschen, deren Notlage man beseitigen möchte, nicht dargestellt werden? Sollen wir diesen Teil unserer Spendenwerbung künftig allein den Medien überlassen und uns wenn’s geht mit einem Spendenaufruf anhängen? Soll ich wirklich, wie das der Kommentar zu den „Grundregeln“ des Verbands nahelegt, die Eltern des hungernden Kindes, das ich abbilden möchte, fragen, ob sie einer Veröffentlichung zustimmen? Das ist doch absolut unrealistisch. Ich habe das mal bei einer Journalistenreise von „Missio“ auf die Philippinen versucht. In der Innenstadt von Manila brannte ein ganzes Stadtviertel, und ich fotografierte einige der nun obdachlosen Bewohner, die in einer Kirche Zuflucht gesucht hatten. Ich fragte sie, ob ich ihr Bild in Deutschland veröffentlichen dürfe. Erwartungsgemäß sahen sie mich völlig verständnislos an, und das nicht etwa, weil sie mich sprachlich nicht verstanden hätten. Die Befindlichkeiten der deutschen Persönlichkeitsschützer waren ihnen angesichts ihrer Not völlig egal.

Wer Spendenwerbung in Deutschland bewusst an die Gefühlskette legen will, muss sich das sehr gut überlegen. Es könnte sein, dass wir um einer vermeintlichen Political Correctness willen auf wesentliche Möglichkeiten der Ansprache potentieller Förderer verzichten aus der Angst heraus, gegen Regeln zu verstoßen, die uns andere aufbürden, die dem Fundraising grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen und selbst keinen Euro für unsere guten Zwecke geben. Mitleid ist ein ganz natürliches Motiv für die Hinwendung zum bedürftigen Nächsten, ohne dass wir damit seine Würde verletzen. Im Gegenteil kann ich die Würde eines Menschen kaum schwerer verletzen als durch unterlassene Hilfeleistung.

Davon zu unterscheiden ist künstlich erzeugtes Mitleid für einen angeblich guten Zweck, der keiner ist. Das bezeichnen wir als Mitleids-Masche, und es gibt genügend Trittbrettfahrer, die sie für selbstsüchtige Zwecke stricken. Falls das bei der Kongress-Gala der Fall gewesen sein sollte, war die Kritik berechtigt. Der beanstandete Film gibt aber wenig her. Der Not der Kinder, die nur kurz gezeigt wurde, wird die erfolgreiche Bekämpfung von Not mittels Spenden gegenübergestellt. Eine Entwürdigung der Notleidenden kann ich nicht sehen.

Über die Form solcher Werbung kann man trefflich streiten. Wenn der weiße Promi aus dem fernen Europa durch die afrikanischen Dörfer schreitet und schon durch seine Anwesenheit alles gut wird, ist das diskussionswürdig. Das gleiche Gefühl packt mich aber, wenn ich im Fernsehen nach Katastrophen die zahlreichen Projektleiter vor den zerstörten Häusern sehe. Sie suggerieren dem Fernsehpublikum, dass nun dank der Spenden, die auf die angegebenen Konten fließen sollen, alles wieder heil wird. Die Betroffenen, die vielleicht auch etwas sagen könnten, dürfen zehn Sekunden ins Mikrofon stammeln, um Authentizität herzustellen, und maßlos erschöpft, sprachlos vor Entsetzen und Kummer im Hintergrund hocken. Die Furcht, sie wirklich in ihrem Elend zu zeigen und damit Schaulust zu befriedigen, treibt ihre Blüten. Dem Fernsehzuschauer bleibt dann nur noch, sich auf YouTube das wahre Ausmaß des Elends in unzensierten Bildern anzusehen und dann zu spenden.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de

 

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