Vom Sinn und Irrsinn

von Marike Ziehmann

Bei „Spendenmittel“ kommt vielen zuerst „Geld“ in den Sinn. „Schon kleine Summen, wie 5, 10 oder 15 Euro helfen…“ sind Formulierungen, die Spender in Mailings häufig lesen. Spendenmittel können natürlich aber auch Sachgüter sein. Doch das Thema Sachspende ist ein schwieriges. Die Organisation einer auf Sachspenden abzielenden Kampagne ist schwieriger, als die einer auf Spendengelder abzielenden. Eine Garantie, die Güter zu bekommen, um die gebeten wird, gibt es nicht. Und die Industrie tut sich schwer, ihre Überproduktion an NPOs abzugeben. Nicht zuletzt wegen der Gesetzeslage in Deutschland. Stattdessen werden jedes Jahr tonnenweise fabrikneue Sachgüter vernichtet.

Was also tun? Die unsinnige Vernichtung von Ausschussware hinnehmen? Keine akzeptable Option für Dr. Juliane Kronen! Sie beweist mit ihrer Online-Plattform Innatura: Es geht auch anders. Die gemeinnützige Gesellschaft dient bei Sachspenden als Bindeglied zwischen Unternehmen und Non-Profit-Organisationen.

Vernichten oder verschenken?

Warum verschenken so wenig Hersteller und Händler ihre aussortierten Waren? Weil das Spenden von Sachgütern in Deutschland teurer ist, als ihre Vernichtung.

Schuld ist das deutsche Steuerrecht, denn auch auf gespendete Waren wird Umsatzsteuer erhoben. Begründung: Das Steuerrecht soll eine unversteuerte Weitergabe an den Letztverbraucher, und damit eine Verzerrung des Wettbewerbs, unterbinden. Denn die Unternehmen bekommen beim Einkauf von Materialien und Einzelteilen die Vorsteuer erstattet. Wird das Produkt an den Konsumenten verkauft, zahlt dieser die zuvor erstattete Vorsteuer durch die Umsatzsteuer an den Staat zurück. Werden die Produkte jedoch gespendet, gibt es keinen zahlenden Endverbraucher und der Spender (Verkäufer) wird vom Staat zur Kasse gebeten. Sprich: der Hersteller oder Händler bleibt im Fall einer Sachspende auf den Steuerkosten sitzen.

Dr. Juliane Kronen Gründerin Dr. Juliane Kronen © innatura gGmbH

Die Berechnung der Umsatzsteuer auf ausrangierte Waren erschwert das Ganze zusätzlich. Denn in diesen Fällen wird die Umsatzsteuer nicht mit dem Neuwert des Produktes berechnet, sondern gemäß dem Umsatzsteueranwendungsgesetz mit dem fiktiven Einkaufswert zum Zeitpunkt der Spende. Hier wird es kompliziert: Welchen Wert hat die Ware, wenn sie aus dem Verkauf genommen wurde? Hat sie überhaupt noch einen Wert?

Wertlos sind beispielsweise beschädigte oder nicht funktionsfähige Waren. Lässt der Hersteller oder Händler seine Waren vernichten, sind sie also definitiv nicht mehr funktionsfähig und damit wertlos. Der fiktive Warenwert liegt demnach bei null Euro. Somit wird auch keine Umsatzsteuer fällig.

Auch gespendete Waren können von der Umsatzsteuer befreit sein. Entscheidend ist, ob ein Produkt verkaufsfähig ist oder nicht. Nach einem Vorfall im Sommer 2012, bei dem ein Bäcker seine übriggebliebenen Backwaren an eine Tafel spendete und dafür 5.000 Euro Umsatzsteuer nachzahlen sollte, gaben die Finanzämter Verfügungen aus, die solchen Fällen vorbeugen sollen. In einer Verfügung der Oberfinanzdirektion Niedersachsen (S 7109-31-St171) ist beispielsweise angeordnet, dass Produkte, die kurz vor ihrem Verfall stehen, Material- oder Verpackungsfehler aufweisen nicht besteuert werden.

Für Produkte, die nicht in eine der genannten Kategorien fallen, erhebt der Staat Umsatzsteuer. Aus unternehmerischer Sicht gibt es also zwei Möglichkeiten: Sich mit der Rechtslage auseinandersetzen und im schlechtesten Fall für eine Sachspende zu zahlen oder die überschüssigen Waren für deutlich weniger Geld vernichten zu lassen.

Als Folge der Steuerhürde werden in Deutschland jedes Jahr Waren im Wert von sieben Milliarden Euro geschreddert und verbrannt. Nimmt man Importgüter dazu, wird die Zahl noch größer.

Es geht auch anders

Dr. Juliane Kronen erkannte das Potenzial der großen Mengen zu vernichtender Waren und gründete Deutschlands erste Plattform für den Verkauf von Ausschussware an gemeinnützige Einrichtungen. Das Prinzip ist einfach: Non-Profit-Organisationen können im Online-Shop von Innatura die gespendeten Waren für einen Bruchteil des Marktwertes erwerben. Dafür müssen sie ihre Wohltätigkeit nachweisen und können im Gegenzug aus einer gigantischen Produktpalette wählen. Über 1.500 unterschiedliche Artikel umfasst das Sortiment mittlerweile. Der Erlös wird ausschließlich für Mitarbeitergehälter und Logistik eingesetzt.

Die Idee überzeugte auch Beiersdorf und Amazon. Beide Unternehmen sind seit Beginn Kooperationspartner der Plattform. Amazon unterstützte Kronen in der Gründungsphase nicht nur mit Sachspenden, sondern auch mit logistischem Know-How. Der Versandriese und das Hamburger Unternehmen blieben nicht die einzigen Partner. Über 70 Unternehmen beteiligen sich mittlerweile an der Plattform.

Bei NPOs kommt die Plattform ebenfalls gut an. Rund 3.500 Organisationen nutzen bis jetzt das Online-Angebot. Auch andere Zahlen der gemeinnützigen Plattform sind beeindruckend. Waren im Wert von 16,5 Millionen Euro wurden durch die Initiative vor der Vernichtung bewahrt. Das entspräche laut Kronen rund 2.000 Tonnen Müll. Etwa eine halbe Million Menschen wurde durch Innatura direkt oder indirekt geholfen. So spendete etwa ein Textilhersteller 30.000 Kleidungstücke, die durch die Plattform an Berliner Flüchtlingseinrichtungen und Kleiderkammern verteilt wurden.

So gut lief es nicht von Anfang an. Banken und Stiftungen taten sich schwer, dem Projekt finanziell unter die Arme zu greifen. Lediglich der soziale Venture Capital Fonds BonVenture glaubte an die Idee und gab der Plattform den monetär nötigen Anschub.

Ein steiniger Weg

Nach wie vor tun sich Unternehmen schwer, Ausschussware abzugeben. Obwohl die Plattform mittlerweile die Aufbauphase abgeschlossen hat, ist es immer noch schwierig, neue Unternehmen für das Projekt zu gewinnen. Um Hersteller und Händler von einer Sachspende zu überzeugen, sind Geduld und gute Argumente gefragt. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte Juliane Kronen, sie brauche von der Vorstellung bis zur ersten Spende mindestens ein Jahr. Viele Unternehmen leugnen auch, dass sie Über- und Ausschussware vernichten lassen würden.

Selbst wenn Unternehmen zur Sachspende bereit sind, legt das deutsche Steuerrecht ihnen Steine in den Weg. Solange die Vernichtung der Ware günstiger ist als das Spenden, werden täglich weiter tonnenweise fabrikneue Güter zerstört. Eine Anpassung der Gesetzgebung ist wünschenswert – aber in absehbarer Zeit wohl nicht zu erwarten.

Doch nicht nur Vater Staat ist in der Pflicht. Auch Unternehmen haben eine soziale Verantwortung. Wenn sie dieser nachkommen wollen, müssten sie in der momentanen Lage wohl die bittere Steuerpille schlucken. Als süßer Beigeschmack bleibt ihnen wenigstens das: Durch die Spenden steigt das Ansehen des Unternehmens beim Konsumenten.

Mehr Infos zu Innatura finden Sie hier.
Publikation: