„Wenn Stiftungen den Paradigmen-Schalter umlegen, sind sie 2050 bei der Digitalisierung ganz vorn dabei“

Von Claudia Wohlert

In Zeiten des digitalen Wandels stehen auch im gemeinnützigen Bereich die Zeichen auf Veränderung. Aus diesem Grund lautete das Motto des StiftungsTages 2018 „Update! Stiftungen und Digitalisierung“. Was auf Stiftungen zukommen kann, ob algorithmische Bewertung eingehender Förderanfragen, die Notwendigkeit internationaler Vernetzung oder ob Stiftungen digitale Infrastrukturen erwerben sollten, klärt Claudia Wohlert im Gespräch mit Felix Oldenburg, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.

Fundraising-Echo: Der digitale Wandel ist allgegenwärtig und macht auch vor Stiftungen nicht halt. Wie sollte sich eine Stiftung im digitalen Zeitalter aufstellen?

Felix Oldenburg Felix Oldenburg, Generalsekretär des
Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.
Foto: © David Ausserhofer
Felix Oldenburg: Neugierig. Offensiv. Kompetent. Mit dem technologischen Fortschritt mitzuhalten, ist dabei nur der kleinere Part. Denn die Digitalisierung verändert auch unsere Art des Zusammenarbeitens, die Anforderungen an Transparenz und die Möglichkeiten, Zielgruppen in die Arbeit einzubinden. Stiftungen erhalten die Chance, auf Plattformen viel mehr Menschen zu erreichen und können Arbeitsergebnisse und die zugrunde liegenden Daten öffentlich machen. Wenn Stiftungen diese Transformation neugierig, offensiv und kompetent angehen, sind sie gut für das digitale Zeitalter aufgestellt.

Fundraising-Echo: Werden sich durch die Digitalisierung das Stiftungswirken und vielleicht sogar die Ziele selbst ändern?

Felix Oldenburg: Seit drei Jahrzehnten transformiert die Digitalisierung einen gesellschaftlichen Bereich, ein unternehmerisches Geschäftsmodell nach dem anderen. Natürlich auch Stiftungen. Sie betrifft nicht mehr nur die operative Arbeit in der Buchhaltung oder die Kommunikation von Stiftungen, sondern ist in ihren Kern vorgedrungen; sie verändert das Stiftungswirken und sogar nicht selten die Ziele selbst. Fast für jeden Stiftungszweck lassen sich inzwischen neue Wirkungsmodelle finden. Analog zu „FinTech“ (financial technology) könnte man von „PhilTech“ (philanthropic technology) sprechen. Wer Demokratie fördern will, kommt um die Potenziale und Gefahren der sozialen Netzwerke nicht mehr herum, kann sich digitale Mobilisierung von der Petitionsplattform change.org abschauen, wie die Hertie-Stiftung beim Deutschen Integrationspreis auf Crowdfunding setzen oder bei abgeordnetenwatch.de lernen, wie der Dialog mit der Politik funktioniert.

Fundraising-Echo: Werden Stiftungen weiterhin so arbeiten wie bisher, sprich alle wesentlichen Prozesse ihrer Arbeit mit eigenem Personal organisieren?

Felix Oldenburg: Das Internet ermöglicht statt aufwändiger, aktiver Stiftungsarbeit auch automatisierte, passive Mobilisierung und Verteilung von Mitteln. Bereits heute nutzen Stiftungen wie die deutsche Guerrilla Foundation mit partizipativem Grantmaking verteilte Intelligenz, statt selbst Anträge zu bewerten. Als nächstes sind die Maschinen an der Reihe. Das beginnt bei der algorithmischen Bewertung eingehender Förderanfragen, wie sie etwa die kanadische Ontario Trillium Foundation bereits anwendet, und könnte in der automatisierten Bewilligung von Direkthilfe etwa bei Erreichen einer bestimmten Erdbebenstärke enden. Mit „smart contracts“ könnten automatische Auszahlungen und Kontrollen erfolgen, ob traditionell über Banken oder transaktionskostenfrei über Kryptowährungen. Die ersten Anwender wären passiv verwaltete Spenden- und Stiftungsvermögen. Diese gibt es in „Donor Advised Funds“ bereits in gewaltigem Umfang und verwaltete Treuhandstiftungen nehmen auch in Deutschland an Bedeutung zu. Das rapide Wachstum der mit Indexfonds bis Robo-Advisor passiv investierten Vermögen könnte den Weg auch für die Philanthropie weisen.

Fundraising-Echo: Sollten deutsche Stiftungen internationaler arbeiten? Wie könnte das aussehen?

Felix Oldenburg: Stiftungen sind seit jeher Akteure des lokalen und regionalen Gemeinwohls. Nur ein kleiner Prozentsatz fördert im Ausland. Doch auch kommunale Stiftungen oder Bürgerstiftungen machen zunehmend die Erfahrung, dass sie internationale Zusammenhänge nicht ausklammern können. Etwa wenn es um Unterstützung geflüchteter Menschen geht. Sicher werden nicht alle Stiftungen – schon ihres begrenzten Vermögens wegen – demnächst internationaler direkt tätig werden. Ich prophezeie aber, dass wir zunehmend internationale Kooperationen und Allianzen zwischen Stiftungen erleben werden, da viele Herausforderungen nur in internationalen Lösungsketten anzugehen sind.

Fundraising-Echo: Wie sehen Sie die Möglichkeit, dass Stiftungen Eigentümer digitaler Infrastrukturen werden?

Felix Oldenburg: Stiftungen könnten dramatisch an Bedeutung gewinnen, als Antwort auf die Frage: Wem gehört das Internet? Als Eigentümer digitaler Infrastrukturen wären sie unabhängig von Regierungen, streng kontrolliert und verankert in der Zivilgesellschaft. Anfänge sind bereits zu beobachten: Schon heute hat die Netz-Community viele zentrale Projekte in eigene Stiftungen wie die Mozilla Foundation, die Apache Foundation oder die Wikimedia Foundation eingebracht. Und die Start-up-Wirtschaft bietet auch Stiftungen Beteiligungsmöglichkeiten. Was wäre, wenn die Knight Foundation Twitter als Miteigentümer übernommen hätte, als dessen Gründer Jack Dorsey auf der Suche nach Förderung dort vergeblich anklopfte? Das deutsche Start-up nebenan.de hat bereits eine Stiftung gegründet, um eine Heimat für digitales Nachbarschaftsengagement zu werden. Die Philanthropie der nächsten Generation beginnt, die Logik von Start-up und Stiftung zu verbinden. Heute gehört das Internet den Geeks und Wagniskapitalgebern. Warum nicht morgen über Stiftungen auch der Gesellschaft selbst?

Fundraising-Echo: Müssten sich die Rahmenbedingungen für Stiftungen im Zeitalter der Digitalisierung verändern?

Felix Oldenburg: In der Stiftungspraxis besteht ein dringendes Bedürfnis nach einer Nachjustierung des Stiftungsrechts. Das hat viele Gründe: Immer mehr Menschen gründen Stiftungen zu Lebzeiten und machen dann in ihrer Stiftung Lernerfahrungen, die sie aber in der Stiftungssatzung nicht nachjustieren können. Auch fordert die Niedrigzinsphase Stiftungen in ihrer Arbeit heraus. Und klar, auch die Digitalisierung stellt gewaltige Anforderungen an die Stiftungspraxis, die so momentan noch nicht im Stiftungsrecht abgebildet sind. Daher setzt sich der Bundesverband Deutscher Stiftungen für eine Reform des Stiftungsrechts ein.

Fundraising-Echo: Ist die Digitalisierung vielleicht nur ein Hype?

Felix Oldenburg: Haben Sie wirklich das Gefühl, das was um uns herum passiert, lässt sich zurückdrehen? Dass wir demnächst wieder mit der Schreibmaschine arbeiten werden? Dass wir die Vorteile digitaler und globaler Vernetzung wieder aufgeben wollen? Dass wir die Segnung des digitalen Zusammenarbeitens wieder missen wollen? Ich nicht. Stiftungen gibt es, seit Menschen durch Ackerbau erstmals Überschüsse erzielt haben. Sie haben sich immer verändert. Weder Ressourcen noch Zwecke werden ihnen ausgehen. Sie werden überleben. Wenn sie ihre Bedeutung aber auch im digitalen Zeitalter erhalten und ausbauen wollen, könnten sie die Ermutigung dafür nicht nur auf Twitter, sondern auch bei Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident der Bundesrepublik und Stiftungsmitgründer, finden: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte“.

Fundraising-Echo: Wo sehen Sie die Stiftungen 2050?

Felix Oldenburg: In vielen Gesprächen über die Folgen der Digitalisierung für Stiftungen treffe ich – neben dem Ignorieren – grob drei Haltungen an: Beharren, Mithalten oder Gestalten. Für das Beharren spricht einiges. Immerhin sind Stiftungen auf Dauerhaftigkeit angelegt und haben die Freiheit, sich Moden zu entziehen. Vor dem Mithalten läge zunächst das Aufholen und vor dem Gestalten der Wandel im Kopf. Einen schönen Tweet von @jasonricci, Gründer des kalifornischen IT-Unternehmens Fluxx, dazu habe ich neulich markiert: „data-driven, tech-forward future #philanthropy: 10% #tech, 90% paradigm shift“. Wenn Stiftungen den Paradigmen-Schalter umlegen, sind sie 2050 in der Gestaltung der Digitalisierung ganz vorn dabei.

 

Felix Oldenburg ist seit April 2016 Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen in Berlin. Oldenburg studierte in Deutschland, Großbritannien und den USA und sammelte berufliche Erfahrungen als Internet-Unternehmer, Berater sowie Initiator und Moderator zahlreicher Bürger-beteiligungsverfahren. Von 2009 bis 2016 leitete er Ashoka Europe. Er wirkt außerdem als Beirat, Mentor und Publizist.

 

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