Die Quangas sind unter uns

Von Dr. Christoph Müllerleile

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph MüllerleileNoch nie den Ausdruck „Quango“ gehört? Na, dann wird’s aber Zeit! Denn die Quangos sind mitten unter uns. Quangos sind quasi-autonomous non-governmental organisations, also dem Anschein nach NGOs, gehören in Wirklichkeit jedoch dem Ersten Sektor und nicht dem Dritten an. Der Anschein hat erhebliche Vorteile. Die Anmutung des Staates ist, dass er sich aus Steuern und Abgaben finanziert. Die Bürgerinnen und Bürger tragen also schon erheblich dazu bei, dass Leistungen erbracht werden, deren Allokation ihnen weitgehend entzogen ist. Ganz im Gegensatz zum so genannten Dritten Sektor, der zwischen Staat und Wirtschaft steht und von freiwilligen Leistungen abhängig ist, deren Kontributoren dann auch entscheiden können, wem diese Freiwilligkeit zugute kommt.

Die Unterschiede sind allerdings längst aufgeweicht, und Freiwilligkeit kann auch der Staat erwarten, ja er spricht geradezu schon von „freiwilligen Leistungen“, die er dem Bürger auf dessen Kosten angedeihen lässt und die sich von den so genannten Pflichtleistungen unterscheiden, die dem Staat gesetzlich aufgegeben sind. Die Bürger fühlen sich umgekehrt verpflichtet, dem Staat zu helfen, Leistungen zu erbringen, die aus Steuergeldern und Leistungsentgelten – angeblich – nicht erbracht werden können. In staatlichen Krankenhäusern tummeln sich „Grüne Damen“, um das pflegerische Personal zu entlasten, die Stadtbücherei setzt auf freiwillige Helfer, die Bücher ausgeben und ins Haus bringen, das Museum setzt Freiwillige bei der Aufsicht und an Verkaufsständen ein, der Brandschutz – eine kommunale Pflichtleistung – hätte ohne Freiwillige Feuerwehren riesige Lücken, Schulen und Kindergärten könnten ohne kostenlose elterliche Mithilfe die mittägliche Verpflegung nicht stemmen, die Entwicklungszusammenarbeit mit Menschen in der so genannten Dritten Welt wäre ohne Freiwillige noch weniger effektiv. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.

Und Geld sammeln Freiwillige für staatliche Leistungen wie die Weltmeister, oft ohne den Unterschied zwischen Spende und Substitution richtig wahrzunehmen. Sie entlasten „den Staat“, damit Steuergelder für andere Aufgaben bleiben. Und damit das Geld scheinbar staatsunabhängig verwaltet werden kann, entstehen rund um staatliche Einrichtungen schneeballartig Fördervereine und -stiftungen, die erfolgreich Fundraising betreiben. Sie kosten die echten NGOs Spenden und Sponsorengelder, denn die Zuwendungen vermehren sich, wie wir aus der Statistik wissen, nicht proportional zum Anstieg von Nachfrage und Gelegenheiten.

Gerade im Bereich der Zuwendungen von Firmen haben Quangos das Privileg, dass Anspruchsteller und Beanspruchte im direkten Leistungsaustausch miteinander stehen. Städte und Landkreise sind Beschaffer von Geräten und Ausrüstungen, Bauherren millionenteurer Projekte und Auftraggeber lukrativer Berater- und Gutachterjobs. Was liegt näher als dass die einen die anderen um Mittel für gute Zwecke bitten. Der Bürgermeister sammelt bei Firmen Spenden für die neue Gruppe des städtischen Kindergartens, der Landrat Mittel für einen Konzertflügel des kreiseigenen Gymnasiums, der Kulturamtsleiter Sponsorengelder fürs städtische Sommerprogramm. Sie konkurrieren mit dem nichtstaatlichen Gesangverein, der Musikschule, dem privaten Kindergarten, der Turngesellschaft, dem Kirchenbauverein, der Theatergemeinschaft, die keine so nützlichen „Stakeholder“ haben und immer öfter hören, dass sich Firmen und Privatpersonen schon festgelegt haben auf Zuwendungen an staatliche Einrichtungen, für die vorhandene Steuermittel eigentlich ausreichen müssten.

In meiner eigenen Heimatgemeinde erlebe ich, dass der Staat im Gewande der Kommunalverwaltung Fördervereine am laufenden Band gründet, für Schulen, Kindertagesstätten, Senioreneinrichtungen, das Schwimmbad, den Lehrpfad im Stadtwald, die Tagesmüttervermittlung. Die Geschäftsführer dieser Vereine sind städtische Bedienstete, die alles – wenn man’s denn glaubt – in ihrer Freizeit machen. Auf übergeordneter Ebene haben wir die Technischen Überwachungsvereine, Automobilclubs, Sportverbände und -vereine, die dem Nonprofitsektor längst entwachsen und Teil des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit gutbezahlten Topmanagern unter Aufsicht von hauptamtlichen Ehrenamtlichen geworden sind. Bürgerstiftungen drängeln sich an staatliche Aufgaben heran. Im überregionalen Bereich entstehen Stiftungen öffentlichen Rechts mit großen Aufgaben, denen, wie es Michael Kilian in „Der Staat als Stifter“ (Bertelsmann, Gütersloh 2003) formuliert, ein wichtiges Merkmal fehlt, nämlich ein glaubhaft großes Vermögen, mit dem sie gesellschaftlich nützliche Zwecke verwirklichen könnten. Die bettelarmen Stiftungen holen sich das Geld fast im direkten Zugriff aus dem Steuersäckel, von Sponsoren und Spendern und in Konkurrenz zu ähnlichen Einrichtungen bürgerlichen Rechts. Die staatlichen Akteure gehen für ihre Quangos betteln und stellen sie durch Zuschüsse von Konkurrenz frei. So mancher freie Träger dagegen verschwindet in aller Stille, weil er sich gegen die privatisierte staatliche Konkurrenz nicht halten kann.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de

 

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