Spenden nach Feuer in Notre-Dame: Mehr als nur Steine

von Michael Güthlein, chrismon-Redakteur erstveröffentlicht auf: chrismon.de

Notre-Dame hat gebrannt. Die Bilder der in Flammen stehenden Kirche sind um die Welt gegangen, eine Nation steht unter Schock. Doch dann kamen die guten Nachrichten: Das Feuer ist gelöscht. Die Struktur des Kirchbaus mit den zwei großen kantigen Türmen ist nicht zusammengestürzt. Präsident Emmanuel Macron verspricht, die Kathedrale wieder aufzubauen. Und zwei der reichsten französischen Familien, Arnault und Pinault, kündigen an, etwa 300 Millionen Euro dafür zu spenden.

Die Betroffenheit und Hilfsbereitschaft nach dieser Katastrophe ist beeindruckend. Aber ein Gedanke drängt sich auf: Könnte man mit diesen Unsummen nicht auch Leben retten? Menschen, die nach dem Zyklon in Mosambik im März alles verloren haben? Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken? Oder auch einfach armen Menschen in den Pariser Vororten eine Perspektive geben? Wäre das Geld dort nicht sinnvoller investiert?

Notre Dame Notre-Dame: Wahrzeichen und Symbol © Pixabay

Auf der einen Seite war mein erster Gedanke: Ja, natürlich.

Auf der anderen: Notre-Dame ist nicht nur eine Ansammlung von Steinen, es ist ein nationales Symbol, das berühmteste Pariser Wahrzeichen neben dem Eiffelturm. Solche Symbole bedeuten den Menschen viel – auch heute noch. Sie sind Teil ihrer kulturellen Identität und der nationalen Geschichte. Symbole existieren viel länger als ein Menschenleben. Oft verbinden sie Generationen und Gesellschaften über Jahrhunderte. Deshalb spenden Bewohner eines Ortes bei der Renovierung einer kleinen Dorfkirche oft mehr als für die Opfer eine Katastrophe am anderen Ende der Welt. Dazu fehlen die Nähe und die Identifikation. Außerdem ist Notre-Dame als Kirche ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen können.

Aber wieso fühlen Menschen so? Warum haben sie Tränen in den Augen, wenn eine Kirche brennt, in der zu diesem Zeitpunkt zum Glück keine Menschen sind. Warum rührt ein Eisbärjunges manche mehr als hungernde alte Menschen in Somalia? Warum leiden so viele Menschen mit, wenn eine Promi-Ehe in der Krise steckt? Das mag zum Teil unvernünftig erscheinen, aber vieles, was Menschen empfinden, ist nicht so einfach zu erklären. Und dennoch ist es für sie wichtig - als Gruppe oder als Individuum.

Es ist also bewundernswert, dass die Reichsten einer Gesellschaft sich einbringen, um Gutes zu tun. Orte wie Notre-Dame, wenn sie in Solidarität wieder errichtet werden, sind dann eben auch ein Platz, an dem wir über Gemeinsinn und Verantwortung nachdenken können und müssen. Es ist gut, wenn Vermögende dazu beitragen, solche Wahrzeichen wieder herzurichten. Es ist noch besser, wenn sie dazu anregen, darüber nachzudenken, was Solidarität im 21. Jahrhundert sein kann – und wen sie umfassen sollte. Meine Hoffnung ist also, dass die Reichen künftig auch bei den Katastrophen spenden, die Menschenleben kosten. Genug Geld haben sie.

Die Ersterscheinung des Artikels finden Sie hier. Die Fundraising-Echo-Redaktion bedankt sich für die freundliche Publikationsgenehmigung.
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