Little Home: ein kleines Haus für obdachlose Menschen

Von Claudia Wohlert

Die Gefahr, seine Wohnung zu verlieren und schlimmstenfalls in die Obdachlosigkeit abzurutschen, ist nicht mehr nur ein Problem von Randgruppen. Einer, der bei diesem Thema nicht wegschaut, ist Sven Lüdecke, Vorsitzender des Vereins Little Home. Er baut kleine Häuser (Little Homes) mit einer Wohnfläche von etwa 3,5 m². Sie sollen das Leben obdachloser Menschen sicherer und stressfreier gestalten. Die Häuser stehen auf Rollen, damit keine Baugenehmigungen notwendig sind. Im Inneren befindet sich alles Notwendige: eine Matratze, eine Chemietoilette, ein Waschbecken, eine Arbeitsfläche mit Kochmöglichkeit, ein Regal, ein Erste-Hilfe-Set und ein Feuerlöscher. Sven Lüdecke, Gründer des Vereins Little Home, sprach mit Claudia Wohlert über das erfolgreiche Projekt, wie sie sich organisieren und warum es zu Problemen mit Engagierten kam.

Fundraising-Echo: Little Home ist ein kleines Haus, das Obdachlosen ein Gefühl von eigenen vier Wänden, auch wenn sie klein sind, und Sicherheit geben kann. Aber es gibt nicht nur positive Unterstützung für das Projekt.

Sven Lüdecke Sven Lüdecke © Little Home

Sven Lüdecke: Das stimmt. Die grundlegenden Fragen für einen Obdachlosen sind: Wo verstecke ich meine Sachen, damit sie in meiner Abwesenheit nicht gestohlen werden? Wo kann ich geschützt und trocken schlafen? Diese Fragen nehmen wir mit den Little Homes weg. Kritiker meinen, dass die Unterbringung in den Little Homes menschenunwürdig ist, da sie nicht den fachlich anerkannten Standards für Notunterbringungen entsprechen. Aber wir sind nicht die Lösung des Problems Obdachlosigkeit, sondern eine Lösung vor der Lösung.

Fundraising-Echo: Ursprünglich war das Projekt Little Home ein Kunstprojekt. Was war der Anstoß?

Sven Lüdecke: Angefangen hat das Ganze, als ich hörte, dass eine obdachlose Frau nachts um halb vier den Kölner Bahnhof verlassen musste. Ich dachte, dass darf nicht sein, ich muss etwas tun. Daraufhin baute ich das erste Haus, bemalte die Wände und verschenkte es. Durch die Bemalung wurde das Haus zu einem Kunstprojekt, das im öffentlichen Raum anders bewertet wird als eine Wohnmöglichkeit.

Fundraising-Echo: Warum haben Sie nach dem ersten Haus weitergemacht?

Sven Lüdecke: Wir haben gemerkt, wie Menschen sich ändern, wenn sie in den kleinen Hütten leben. Sie sind motivierter, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Sie bekommen erneut Mut und Hoffnung, sich selbst aus den schwierigen Umständen herauszuziehen. Sie sagen sich: Ich möchte mein Leben ändern. Ich will weg von der Straße. Ich möchte eine eigene Wohnung. Inzwischen stehen in sechs Bundesländern 69 Little Homes. Von den Bewohnern fanden 19 eine Arbeit und 25 eine Wohnung, und das in nur zwei Jahren.

Fundraising-Echo: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Menschen aus?

Obdachloser in Little Home Obdachloser in seinem neuen „Little Home". © Little Home

Sven Lüdecke: Wenig Alkohol, keine Drogen und besonders viel Lust, die Straße zu verlassen. Das Haus bedeutet viel Verantwortung für den Bewohner. Er muss es ordentlich halten, damit er den Platz nicht verliert. Dementsprechend können wir nicht jeden nehmen. Inzwischen ist die Warteliste für Little Homes auf über 15.000 Menschen angestiegen. Das Auswählen ist mit das Schlimmste. Hierzu werden Einzelgespräche geführt. Die Lust, die Straße zu verlassen, ist mitentscheidend.

 

Fundraising-Echo: Wurden überwiegend Häuser an Männer vergeben?

Sven Lüdecke: Nein. Natürlich haben wir einen größeren Männeranteil, aber wir versuchen, die Häuser zu gleichen Teilen an Frauen und Männer zu übergeben.
Frauen gehen auf der Straße eher eine Abhängigkeit ein, um geschützt zu sein. Sie erbringen Dinge, die sie gar nicht möchten, nur damit sie nicht auf der Straße landen. Das ist auch mit ein Grund, warum wir eher Frauen helfen möchten als Männern.

Fundraising-Echo: Ein Haus, das an einen Obdachlosen verschenkt wird, kostet 1.050 Euro. Wie finanziert sich der Verein?

Sven Lüdecke: Wir finanzieren uns aus Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen. Mitglieder zahlen fünf Euro im Monat. Unser jüngstes Mitglied ist neun Jahre alt.

Fundraising-Echo: Welche Spendergruppen sprechen Sie an?

Sven Lüdecke: Bislang machen wir noch keine geplanten Fundraising-Aktionen. Wir erreichen die Spender nur, wenn Medien über Little Home berichten. Durch die Einzigartigkeit des Projektes genießen wir eine hohe Präsenz in den Medien. Sobald über das Projekt berichtet wird, gibt es Spenden, sonst nicht.

Fundraising-Echo: Werden die Spender Mitglieder in Ihrem Verein?

Sven Lüdecke: Nein, Spender werden nicht zwangsläufig Mitglieder. Eine Mitgliedschaft ist unabhängig von Spenden.

Fundraising-Echo: Wie genau ist Ihr Verein organisiert?

Sven Lüdecke: Für die einzelnen Bundesländer, in denen wir vertreten sind, wählen die Mitglieder während der Mitgliederversammlung Regionalleiter. Die Regionalleiter übernehmen die Verantwortung vor Ort und organisieren die Bau-Events. Sie sprechen mit den Medien und versuchen, Spenden zu generieren. Somit läuft nicht alles über Köln, den Sitz des Vereins.    

Fundraising-Echo: Die Häuser werden von Freiwilligen in den jeweiligen Städten gebaut. Wie finden Sie diese Menschen?

Sven Lüdecke: Über die sozialen Netzwerke wie zum Beispiel Facebook. Dort starten wir regelmäßige Aufrufe. Inzwischen existiert schon eine lange Warteliste von Freiwilligen aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Soll ein neues Projekt verwirklicht werden, schreiben wir die Freiwilligen an und fragen, ob sie uns unterstützen möchten.

Fundraising-Echo: Wie betreuen Sie Ihre Ehrenamtlichen?

Sven Lüdecke: Wir pflegen regelmäßig zu jedem Kontakt. Aufgrund der vielen Ehrenamtlichen geht es nicht immer, dass ich persönlich in Kontakt mit ihnen bin. Deshalb kontaktieren die gewählten Regionalleiter der jeweiligen Region sie. In Zukunft soll es auch Stammtische geben, an denen ich versuche teilzunehmen.

Fundraising-Echo: In den Städten existieren bereits Gruppen, die Obdachlosen helfen. Welche Erfahrungen haben Sie mit denen gemacht?

Sven Lüdecke: Ich finde es gut, dass es so viele unterschiedliche Gruppen zur Betreuung der Obdachlosen gibt. Ob es nun darum geht, Essen Schlafsäcke oder Kleidung zu verteilen, alles, was obdachlosen Menschen hilft, ist sehr wichtig. Doch leider besteht unter den einzelnen Gruppen ein Konkurrenzverhalten, das auch wir zu spüren bekamen. Little Home wurde unter anderem in den sozialen Medien angegriffen.

Fundraising-Echo: In einzelnen Medien wurde Ihnen unterstellt, dass Sie Spendengelder unterschlagen hätten. Was sagen Sie dazu?

LIttle Home in Park Little Home im Park © Little Home

Sven Lüdecke: Es gab einen Fall in Nürnberg, wo der Verein Little Home sehr engagierte Unterstützer hatte, die gern die Regionalleitung übernehmen wollten. Zu dem Zeitpunkt war es aber nicht möglich, einen Regionalleiter zu bestimmen, da nur von der Mitgliederversammlung Regionalleiter gewählt werden können. Das Vereinsgesetz erlaubt es nicht, dass der Vorsitzende Regionalleiter bestimmt. Die Unterstützer hatten sich im November 2017 für Little Home engagiert, die Mitgliederversammlung war aber erst im Sommer 2018. Erst ab der Regionalleiterwahl erhält der Gewählte die Vollmacht über die ec-Karte und das Unterkonto. Im Fall Nürnberg wollten die Unterstützer aber sofort die Vollmacht. Inzwischen wurden auf unserer Homepage die juristischen Belege für unser korrektes Verhalten veröffentlicht.
Um in Zukunft solchen Missverständnissen vorzubeugen, hat die letzte Mitgliederversammlung beschlossen, dass ein Aufsichtsrat als zusätzliches Gremium eingeführt wird, der neben der Kontroll- auch eine Beraterfunktion hat.

Fundraising-Echo: Wo sehen Sie Little Home in 20 Jahren?

Sven Lüdecke: Ziel ist es, dass wir keine Little Homes mehr brauchen. Wir hoffen, dass durch unsere Öffentlichkeitsarbeit so viel Aufmerksamkeit auf Regierungsebene generiert werden kann, dass Obdachlosigkeit auf Bundesebene angegangen wird. Es muss zusätzlich adäquater Wohnraum geschaffen werden. Unser vorrangiges Ziel ist jetzt erst einmal, so viel Spenden zu sammeln, dass Little Home eigenen Wohnraum für obdachlose Menschen schaffen kann.

 

Sven Lüdecke, Gründer und 1. Vorsitzender des Vereins Little Home Köln e.V., stammt aus Bernau in der Nähe von Berlin. Nach einem Auslandsaufenthalt spezialisierte sich der Fotograf immer mehr auf Innenarchitektur-Fotografie. Nachdem er von Berlin nach Köln gezogen war, gründete Lüdecke dort Ende 2016 den Verein Little Home Köln e.V., der kleine mobile Häuser für obdachlose Menschen baut. Er lebt frei nach dem Motto: „Kein Mensch macht einen Fehler in seinem Leben. Erst rückwirkend betrachtet entstehen Fehler."

 

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