Alle Jahre wieder grüßt das schwarze Schaf

Dr. Christoph MüllerleileKolumnist Dr. Christoph Müllerleile meint ...
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Von Dr. Christoph Müllerleile

Tyark Thumann erinnert uns regelmäßig daran, dass wir Fundraiser in den Augen mancher Journalisten und wohl auch beträchtlicher Teile der Öffentlichkeit Teil einer raffgierigen Spendenindustrie sind, die sich zum eigenen Wohl am Elend der Hilfsbedürftigen bereichert und bereit ist, dafür jährlich 200 Millionen Fake-Mailings zu verschicken. Die Rede ist da immer mal von Mitleidsindustrie, fehlender Transparenz, Spendenlügen, unseriösen Organisationen, falscher Mildtätigkeit, hohen Verwaltungs- und Werbungskosten. Abhilfe sollen einheitliche Transparenzkriterien, Gütesiegel und staatliche Überwachung bringen. Generell sollen die Menschen beim Spenden vorsichtig sein, und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Allerdings geht es uns Fundraisern in Deutschland noch ziemlich gut. Wer die britischen Medien in all ihrer Gnadenlosigkeit verfolgt, kann nur hoffen, dass uns das angelsächsische Vorbild nicht eines Tages einholt. Großbritannien? Das ist doch das Land, das mit der Charity Commission staatliche Überwachung bereits flächendeckend kennt, die wiederum durch Veröffentlichung einheitlicher Rechenschaftsberichte hohe Transparenz schafft. Das ist doch das Land, das durch den professionell geführten Wettbewerb im Fundraising ethische Maßstäbe gegen unseriöse Marktteilnehmer setzt. Es ist das Land, in dem doppelt so viel gespendet wird wie in Deutschland. Es ist aber auch das Land des medialen Supergaus.

Ein Beispiel: Die 92-jährige Olive Cook aus Bristol sprang im Juli 2015 in den Tod, weil sie die vielen Spendenbriefe und Cold-calls nicht mehr ertragen konnte. So jedenfalls die Titelstorys in allen namhaften Blättern. Die alte Dame hatte 75 Jahre lang für Kriegsveteranen gesammelt und regelmäßig an 48 Organisationen gespendet. 99 Organisationen hatten sie auf der Liste. Jährlich bekam sie von ihnen angeblich 2.800 Spendenbriefe.

Die britische Presse war wochenlang voll von üblen Nachrichten über das Fundraising diverser Charities und betrügerische Werbepraktiken im Land.

Die Kritik der Medien ist leider oft berechtigt, auch wenn die Proportionen des Spendenmissbrauchs aus Sensationsgier gerne verzerrt werden. Exemplarisch dafür führt Thumann die Dokumentation „Betrug durch Spenden – Im Dickicht der Spendenindustrie“ an, die Arte am 22. September 2013 ausstrahlte, und die auf YouTube im Netz ist. Es lohnt sich, den Eineinhalb-Stunden-Film anzusehen, auch wenn die Dreharbeiten schon mehr als fünf Jahre zurückliegen. Die geschilderten Fälle offenkundigen Spendenmissbrauchs sind haarsträubend und aufwendig nachrecherchiert.

Der Film müsste Bestandteil jeder Fundraisingausbildung sein, weil er zeigt, was Fundraising in der Öffentlichkeit so suspekt macht: Benefiz für ein unbekanntes Mensch- und Tier-Hilfswerk als Vorwand für ein prominent besetztes Golfturnier, eine Society-Lady, der zum Thema Aufwand und Ertrag nichts einfällt, eine bekannte Chansonette, der das Benefizgetue, bei dem sie mitmacht, peinlich ist, ein Indianer-Hilfswerk mit leeren Bürohüllen in Deutschland und Frankreich, ein schlimmer Auftritt des Fachverbands der Fundraiser, ein hilfloser Vertreter französischer Spendenorganisationen, raffinierte Verführungsspezialisten im Königsteiner Vögele-Institut. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite stehen die Guten – der verfolgte Journalist, der nüchtern recherchierende Wirtschaftsredakteur, der sympathisch zurückhaltende DZI-Chef, die energische Geografieprofessorin, die die „Omerta“ (Schweigepflicht-Ehrenkodex) der französischen NGOs zur Spendenpraxis brechen will, der ob der teuren Dienstleister kopfschüttelnde Gründer eines seriösen, kleinen Peru-Hilfswerks, die von einem angeblichen Frauenhilfswerk getäuschte Frauenrechtlerin.

Da hilft es nicht, wie manche meinen, Aufklärungsgespräche mit Journalisten zu führen im Stile von „Es gibt 580.000 gemeinnützige Vereine in Deutschland. Die unseriösen liegen im Promillebereich.“ In Zeiten, in denen schon ein falsches Wort genügt, Politiker in die Wüste und ganze Parteien in die Opposition zu schicken, ein übergriffiger Priester, um ganze Diözesen ins Wanken zu bringen, ein Glas Babynahrung mit Reinigungsresten, um millionenfache Rückrufaktionen auszulösen, reicht ein schwarzes Schaf in der gemeinnützigen Vertrauensbranche aus, um Leuten jahrelang Ausreden gegen das Spenden und Medien den Vorwand zum Generalverdacht zu liefern.

Das Einzige was hilft, ist absolute Sauberkeit in der Branche und klare Distanz zu schmuddeligen Praktiken. Und wenn die Krise kommt, kann man nur mit vorbehaltloser Offenheit falschen Anschuldigungen begegnen und Folgeschäden mindern.

Alles in allem brauchen Fundraiser aber trotz des zu erwartenden vorweihnachtlichen Hype über drohenden Spendenbetrug keine Angst zu haben. Dafür gibt es mehrere Gründe:

1. Es gibt keine Leitmedien mehr, die mit Wucht Themen setzen können, auf die sich alle anderen reflexartig stürzen.
2. Es gibt sofortige Möglichkeiten der Richtigstellung über das Internet.
3. Die Primärerfahrungen der Menschen mit Spenden und Sponsoring sind positiv und werden geprägt von Kleiderbasaren des Frauenrings, Sammlungen der Kirchen für Obdachlose, Spendenaktionen für Atemschutzgeräte der Feuerwehr, Charity-Läufen der Schulen für das Waisenhaus in Kolumbien und Geschenkeverzicht der Firmen zugunsten guter Zwecke.
4. Es wird in Zeitungen, sozialen Medien, in Hörfunk und Fernsehen deutlich mehr über Spendenakquise für gute Taten berichtet als über fehlgeleitetes Fundraising.

 

Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de
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