Betriebswirt und Fundraising-Berater Prof. Dr. Michael Urselmann antwortet

Von Claudia Wohlert

Prof. Dr. Michael Urselmann]Prof. Dr. Michael Urselmann sieht Fundraiser in der Pflicht, den ihnen anvertrauten Spendengelder zu maximalem Netto-Erlös für die Projekte zu verhelfen. © Thilo SchmuelgenFundraising-Echo: Wenn Sie 100.000 Euro frei zur Verfügung hätten, wen würden Sie unterstützen und in welchem Bereich?

Prof. Dr. Michael Urselmann: Als Betriebswirt würde ich immer versuchen, die 100.000 Euro so zur Verfügung zu stellen, dass sie maximale Verzinsung für ein gemeinnütziges Anliegen erbringen können. Als Hochschullehrer halte ich es in diesem Zusammenhang mit Benjamin Franklin: „Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen!“ Als Fundraiser weiß ich, dass keine Bank und kaum ein Unternehmen einen höheren „Return on Investment“ erreichen kann als ein Fundraiser (400 % pro Jahr aufwärts). Fazit: Ich würde den Betrag in die Aus- und Weiterbildung von Fundraiserinnen und Fundraisern investieren, damit ihre Talente bestmöglich für die Finanzierung unseres globalen Gemeinwesens erschlossen werden können.

Fundraising-Echo: Welche Fundraising-Kampagne/Initiative hat Sie in den vergangenen Jahren besonders beeindruckt und warum?

Prof. Urselmann: Besonders beeindruckt hat mich die Initiative „Giving Pledge“, bei der es Bill und Melinda Gates gemeinsam mit Warren Buffet gelingt, unter den reichsten Menschen der Welt immer mehr zu überzeugen, bis zu ihrem Lebensende mindestens die Hälfte ihres Reichtums wieder an die Gesellschaft zurückzugeben. Trotz der berechtigten Kritik der fehlenden demokratischen Kontrolle dieses Engagements, wird – so finde ich – ein wichtiges Zeichen gesetzt, dass Reichtum auch verpflichtet. Dieses Engagement inspiriert mittlerweile nicht mehr nur Superreiche der „westlichen Welt“. Vor Kurzem hat mit Yu Pang-lin auch der erste chinesische Milliardär sein Vermögen einer gemeinnützigen Stiftung vermacht. Schließlich entwickeln sich aus Fundraising-Sicht auch neue Wirtschaftszentren unserer globalisierten Welt (wie zum Beispiel die sogenannten BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) längst von Nehmer-Ländern auch zu Geber-Ländern.

Fundraising-Echo: Gibt es eine Veröffentlichung, die Sie Fundraisern empfehlen würden?

Prof. Urselmann: Ich würde „Uncharitable – How restraints on nonprofits undermine their potential” von Dan Pallotta empfehlen. Darin beschreibt der erfahrene US-amerikanische (Sozial-)Unternehmer, Autor, Aktivist und – nicht zuletzt – Fundraiser sehr anschaulich und nachvollziehbar, welche Mechanismen gemeinnützige Organisationen (nicht nur in den Vereinigten Staaten) davon abhalten, ihr volles (Fundraising-)Potenzial zu erschließen. Sich dieser Zusammenhänge klar zu werden und sie offensiv gesellschaftlich zu adressieren, würde den Dritten Sektor auch in Deutschland einen großen Schritt voranbringen. Die Lektüre dieses mutigen und leidenschaftlichen Werkes kann ich jedem Nonprofit-Engagierten nur ans Herz legen!

Fundraising-Echo: Womit sollten sich Fundraiser Ihrer Meinung nach noch intensiver beschäftigen?

Prof. Urselmann: Das Fundraising in Deutschland hat sich in den vergangenen 25 Jahren rasant entwickelt und professionalisiert. Auf operativer Ebene haben wir viel Erfahrung mit den verschiedenen Produkten (Einzel‑, Dauer‑, Groß‑, Testaments‑, Anlass‑, Restgeld‑, Mikro‑, SMS-Spenden etc.), Vertriebskanälen (Post‑, Telefon‑, Online‑ und persönlicher Vertrieb) und Kommunikationskanälen (der Media‑, Direkt‑ und Dialogwerbung) gesammelt. Wollen wir jedoch das volle Fundraising-Potenzial in Deutschland erschließen (was uns meiner Meinung nach trotz aller Erfolge bei weitem noch nicht gelingt), so müssen wir in den nächsten Jahren das strategische Fundraising-Management systematisch professionalisieren und Antworten, zum Beispiel auf folgende Fragen, finden: Verfügen wir über das optimale Fundraising-Budget? Investieren wir unser Fundraising-Budget wirklich in den optimalen Splitt an Produkten, Vertriebs- und Kommunikationskanälen? Wie sollten wir Fundraising-Budgets umschichten, um nicht nur kurz, sondern auch mittelfristig einen maximalen Nettoerlös aus dem Fundraising für die Projektarbeit bereitstellen zu können? Zurzeit arbeite ich mit einem Mathematiker an Modellen, die datenbasiert helfen, solche grundlegenden Fragen fundiert zu beantworten.

Fundraising-Echo: Welche Trends sehen Sie im Fundraising?

Prof. Urselmann: Das Fundraising wird sich einerseits immer stärker globalisieren. Die großen internationalen Nonprofit-Organisationen (wie Save the Children, UNICEF, Greenpeace etc.) werden sich nach und nach systematisch die Fundraising-Potenziale in allen Ländern erschließen. Wie bereits am Beispiel der BRICS-Staaten angesprochen, entwickeln sich dabei durch rasch voranschreitende Globalisierungsprozesse auch bisherige Nehmer-Länder zu Geber-Ländern. Unterstützt werden die globalen Nonprofits durch die Corporate Social Responsibility-Aktivitäten globaler Unternehmen und Internet-Player wie Google, Facebook und Amazon. Zuletzt konnte man die Macht solcher Allianzen bei Spendenaufrufen für die Katastrophenhilfe für Nepal beobachten. Organisationen wie UNICEF profitieren dann beispielsweise davon, dass Facebook weltweit über eine Milliarde Menschen schnell und grenzüberschreitend mit einem Spendenaufruf erreichen kann.

Andererseits werden immer mehr kleine, regionale Organisationen und Projekte Fundraising-Erfolge nach dem Prinzip „small is beautiful“ erzielen. Dabei machen sie ihre Überschaubarkeit und Nähe sympathisch. Unterstützt durch erschwingliche Fundraising-IT und Social Media werden sie beachtliche Erfolge vor allem im Peer-to-Peer-Fundraising erzielen – wie die wachsende Anzahl von Crowdfunding-Plattformen zeigt, nicht nur im Nonprofit-Bereich.

Dadurch, dass immer weniger Menschen in Deutschland immer mehr geben, wird das Upgrading immer mehr auf die Spitze der Spenderpyramide getrieben. Gerade im Bereich des Großspender- und Testamentsspender-Fundraisings wird ein Vielfaches der heutigen Budgets eingesetzt werden. Spannende Zeiten, auf die ich mich freue!

Fundraising-Echo: Wie lautet Ihr ganz persönliches Fundraising-Motto?

Prof. Urselmann: In Analogie zum biblischen Gleichnis der anvertrauten Talente, bin ich der Meinung, dass es unsere Pflicht als Fundraiser ist, mit anvertrauten Spendengeldern durch kontinuierlich weiterentwickeltes Fundraising-Management bestmöglich zu „wirtschaften“. Durch ständige Optimierung und Professionalisierung unseres Fundraisings müssen wir dem investierten Fundraising-Budget zu optimaler Verzinsung beziehungsweise maximalem Nettoerlös für die Projekte verhelfen. Wie auch im kommerziellen Bereich werden solche Optimierungsprozesse künftig durch intelligente mathematische Modelle unterstützt, die ganz neue Auswertungen zahlreich vorhandener Daten (im Sinne von „Big Data“) ermöglichen werden.

 

Prof. Dr. Michael Urselmann ist seit 2004 Professor für Sozialmanagement mit dem Forschungs­schwerpunkt Fundraising, seit 2005 an der Fachhochschule Köln. Daneben berät er frei­beruflich gemein­nützige Organisationen in allen Fragen des Fundraisings (www.urselmann.de). Sein Buch „Fundraising – Professionelle Mittelbeschaffung für Nonprofit-Organisationen“ erschien 2014 in der 6. Auflage. Urselmann war von 1994 bis 2001 Vorstandsmitglied des Deutschen Fundraising Verbandes. Seit 2009 ist er gewähltes Mitglied im Deutschen Komitee für UNICEF.

 

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