Freiwillig zu Diensten?

Interview mit Claudia Pinl
 
Claudia PinlClaudia PinlFundraising Echo: Sie haben sich dem Thema Ausbeutung und Ehrenamt ausführlich gewidmet. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen? Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Buch „Freiwillig zu Diensten?“ erhalten? Haben Sie diese erwartet?
 
Claudia Pinl: Ich beschäftige mich seit langem mit Gender-Fragen, vor allem mit der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, also der Tatsache, dass der größte Teil der gesellschaftlich geleisteten Arbeit unbezahlt ist, vor allem die Haus- und Familienarbeit, die ganz überwiegend immer noch von Frauen erwartet und verrichtet wird. Aber auch das bürgerschaftliche Engagement ist geschlechtshierarchisch strukturiert: Männer finden sich eher da, wo es um „Amt“ und „Ehre“ geht (Vereinsvorsitz, Kommunalpolitik), Frauen eher in der ausführenden Arbeit im sozialen oder auch kommunalen Bereich.
 
Das stärkste Echo auf das Buch kommt bislang aus Kreisen wie dem Ihren bzw. aus den Wohlfahrtsverbänden oder anderen Institutionen, die sich auf bürgerschaftliches Engagement stützen. Was mich freut, ist, dass ich da viel Zustimmung ernte, womit ich so nicht gerechnet hatte. Aber gerade die Wohlfahrtsverbände wissen ja, dass die ausgedünnten Netze des Sozialstaats nicht auf Dauer von den Ehrenamtlichen geflickt werden können.
 
Fundraising Echo: Es läge Ihnen fern, den guten Ruf des Ehrenamts schädigen zu wollen, schreiben Sie, halten es jedoch für gefährlich, wenn hilfsbereite Menschen zum Ausputzer politischer Fehlentscheidungen werden. Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?
 
Pinl: Zivilgesellschaftliches Engagement ist ein demokratisches Grundelement. Sich über das unmittelbare persönliche Umfeld hinaus verantwortlich zu fühlen für das Gemeinwesen, ist unerlässlich. Diese Bereitschaft zum Engagement ist bei erfreulich vielen Menschen vorhanden. Ganz und gar unerfreulich finde ich, dass vieles, was vor einigen Jahren noch zum Aufgabenbereich bezahlter Kräfte gehörte, heute an Ehrenamtliche ausgelagert wird: Das fängt beim Spielen oder Singen mit AltenheimbewohnerInnen an und hört bei der kommunalen Grünpflege noch lange nicht auf.
 
Fundraising Echo: Was sagen Sie dazu, wenn Politiker und Staatsmänner ein Loblied auf das Ehrenamt singen - wie jüngst sogar der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache - ohne auch nur zu erwähnen, welche Versäumnisse erst dazu führten, dass diese ehrenamtlichen Tätigkeiten notwendig geworden sind?
 
Pinl: Von den Engagierten immer häufiger Arbeiten einzufordern, die eigentlich zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören, ist meines Erachtens ein Mißbrauch der Ressource Engagement. Bundesverdienstkreuze, Ehrenamtspreise und ähnliche Auszeichnungen werden gern an die Gründer von Mittagstischen für arme Kinder verliehen und eher selten z. B. an Gruppen wie „Storch Heinar“, die sich seit Jahren kreativ und engagiert gegen Neonazis wenden.
 
Fundraising Echo: In vielen sozialen Einrichtungen, ob im Gesundheitswesen, der Pflege oder Betreuung, besteht zwischen Erwerbstätigen und Ehrenamtlichen ein Spannungsverhältnis. Sie beschreiben in Ihrem Buch den Konflikt von ehrenamtlicher Tätigkeit mit Aufwandsentschädigung, die de facto Jobs im Niedriglohnsektor darstellen. Wo sehen Sie einen Ausweg?
 
Pinl: Das gesellschaftspolitische Grundproblem ist, dass in viele Sektoren mehr Geld fließen müsste – Soziales, Bildung, Kultur, Kommunales. Geld ist angeblich keins da – kein Wunder, denn die derzeitigen deutschen Steuergesetze bevorzugen die Reichen, auf Kosten der Armen, aber vor allem auch auf Kosten des öffentlichen Sektors. Die neue Bundesregierung hat sich darauf verständigt, Steuern nicht zu erhöhen; andererseits plant sie in der Renten- oder Familienpolitik (z. B. Betreuungsgeld) weitere individuelle Transferleistungen mit Geldern, die dann für Infrastrukturleistungen in der Bildung oder bei den Kommunen nicht zur Verfügung stehen.
 
Fundraising Echo: Viele Leserinnen und Leser vom „Fundraising Echo“ sind in der „Goodwill-Industrie“ tätig. Sie werben um Geld- oder Zeitspenden. Müssen die nach der Lektüre Ihres Buches ein schlechtes Gewissen haben, weil sie mit guten Taten dem Abbau des Sozialstaats Vorschub leisten? Was würden Sie ihnen mit auf den Weg geben?
 
Pinl: Schlechtes Gewissen: nein. Aber ich wünsche mir schon, dass mein Buch mehr Menschen zu einem politischen Blick auf das Thema verleitet. Das heißt, mehr von uns sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Bedarf an „Tafeln“, an „Grünen Damen“, an Ehrenamtlichen in Altenheimen, Büchereien oder Schwimmbädern Folge politischer Entscheidungen ist. Und dass diese Entscheidungen auch rückgängig gemacht werden können.
 
Fundraising Echo: Sie schließen Ihr Buch an die Adresse aller, die für das Ehrenamt werben mit dem Satz: „Sie sollen wissen, was sie tun“. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit das Ehrenamt nicht missbraucht wird?
 
Pinl: Deutschland und die Schweiz gehören zu den reichsten Ländern der Erde. Dass hier Arme auf die kostenlose Abgabe von Lebensmitteln angewiesen sind, ist eine Schande. Es ist auch eine Schande, dass aus vielen sozialen Berufen die „Beziehungsarbeit“ - Zuhören, Empathie, Gespräch - heraus rationalisiert wurde. Das aufzufangen ist meiner Meinung nach nicht die Aufgabe von Freiwilligenarbeit.
Ich sehe den Sinn von ehrenamtlichem Engagement eher in der partizipatorischen Begleitung der demokratischen Institutionen. Dazu gehört auch das traditionelle Vereinswesen, die Parteien, die Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen und natürlich auch die sogenannten „Wutbürger“, auch wenn deren Anliegen vielen nicht gefällt. Aber auch sie opfern Zeit und manchmal auch Geld oder gar Gesundheit, weil ihnen das Erscheinungsbild ihrer Stadt wichtig ist, oder sie die Welt insgesamt gerechter gestalten möchten.
 
Mit Claudia Pinl sprach Selma Reese

 

Claudia Pinl, geboren 1941, war Rundfunk-Journalistin, Bonner Korrespondentin der „taz“ und Fraktionsmitarbeiterin der Grünen im Bundestag. Heute lebt und arbeitet sie als Publizistin und Autorin in Köln. Sie hat mehrere Bücher u. a. zu den Themen Frauen und Arbeit, zum Geschlechterverhältnis und zu neokonservativen Entwicklungen in der Gesellschaft verfasst.
Das neue Buch von Claudia Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit ist im Nomen Verlag, Frankfurt erschienen.

 

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