Fundraising kommt endlich in die Jahre

Dr. Christoph MüllerleileKolumnist Dr. Christoph Müllerleile meint ...
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Von Dr. Christoph Müllerleile

Was für ein Zufall!  Ein junger, mutiger Fundraiser schlägt vor, dass beim Fundraising-Kongress auch eine Veranstaltung mit den Altvorderen stattfindet. In seinen Fundraising-Briefen zitiert er Lothar Schulz, der im Februar 80 wurde. Andere berufen sich auf den unvergessenen, leider verstorbenen Heinz Fischer, der mit seiner Gattin bis zuletzt beim Fundraising-Kongress Bücher verkaufte. Friedrich Haunert und Fundraisingverbands-Vorsitzender Dr. Martin Dodenhoeft wurden fast gleichzeitig 60. Gerhard Wallmeyer (66), Mitgründer des Fundraising Verbands, stieg zum ersten Mal selbst in dessen Vorstand ein. Marita Haibach, selbst fast im Rentenalter, schreibt ihre reifsten Bücher zusammen mit Jan Uekermann (36) und hält mit ihm Seminare über Großspenden-Fundraising. Jüngere Fundraiserinnen und Fundraiser stehen in sozialen Medien, in Regionalgruppen, Fachkonferenzen und in der Fundraising-Akademie in ständigem Dialog mit den Älteren.

Was sagt uns das? Fundraising kommt auch bei uns in die Jahre, und die Erkenntnis von Winston Churchill, dass man umso weiter vorausschauen kann, je weiter man zurückblickt, trifft ganz gut auch auf unseren Berufsstand zu.
Welch Zufall auch, dass gerade in diesen Tagen ein Fundraiser 80 geworden ist, der wie wenige für den Übergang vom Direktmarketing für kommerzielle Produkte zum Fundraising für gemeinnützige Anliegen steht. Es handelt sich um Klaus Prochazka, der aus dem Versandhandel kommt und für den Direktmarketing-Pionier Alfred Gerardi in Ettlingen arbeitete.

Das deutsch-amerikanische Unternehmen Donnelley & Gerardi, kurz D&G, bekam eines Tages einen Kunden, auf den sich niemand eingestellt hatte. Aloysius Schwartz, katholischer Priester mit deutschen Wurzeln, aber durch und durch Amerikaner, stand eines Tages im Büro. Er kam geradewegs aus Hyattsville, Maryland, erinnert sich Prochazka. Dort unterhielt er ein kleines Spendenbüro, eine Sammelstelle für Zuwendungen, die ihm aus seiner amerikanischen Heimat zuflossen. Das Geld wurde ihm nach Korea überwiesen. Dort sorgte er seinerzeit für 3.400 Waisenkinder. Sie wuchsen in Häusern auf, die er mit Spenden finanzierte. Er ließ sie unterrichten und bezahlte die Lehrer mit Spendengeld.

Prochazka ging mit dem Kunden durch alle Fundraising-Irrungen, von der falschen Namensgebung „Korean Relief“ bis zum missglückten Start mit 30.000 angeblichen Bestspendern, von denen nur 450 spendeten. Die Namensgebung war eine unbedachte Entscheidung, über die sich deutsche Spender jahrelang die Zunge zerbrachen und Koreaner ärgerten, zumal sich das Werk längst auf die Philippinen ausgedehnt hatte. Ungeschickt war wohl auch, wie Prochazka zugibt, dass die ersten Vereinsmitglieder allesamt D&G-Mitarbeiter waren. Sie gaben ihren Namen für eine gute Sache, wie ihnen schien, und sahen damit die Formalitäten als erfüllt an. „Niemand dachte sich etwas dabei. Schon gar nichts Böses. Niemand hatte einen Vorteil davon. Keiner sah den Tag voraus, an dem ein Fernsehsender das Betriebsgebäude filmen und triumphieren würde: Hier sitzen die Leute, die Millionen an Spenden verdienen.“ So steht es in dem spannenden Buch von Prochazka von 2006 mit dem bezeichnenden Titel „Gegen den Strom“. Es ist im Buchhandel nach wie vor bestellbar.

Allerdings war Prochazka nicht ganz unerfahren, was den Non-Profit-Bereich anging. Er war der Einzige im Unternehmen, der nicht nur für Versandfirmen und Verlage gearbeitet, sondern auch für Altersheime und die Kriegsgräberfürsorge getextet hatte. Er schrieb dann einen Brief, in dem er die potenziellen Spender mit Kim und Park bekannt machte, zwei „typischen Straßenjungen aus den Elendsvierteln“. Ihr Bett sei der Bürgersteig, ein leeres Kanalisationsrohr oder ein trockener Fleck unter der Brücke, dichtete er ins Blaue. Erst später lernte er, dass Kim und Park die gängigsten Familiennamen in Korea sind. Er hatte die Kinder sozusagen Müller und Schulze geheißen. Niemand bemerkte den Irrtum. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich Prochazka mit Gerardi auf den Weg nach Korea machte, um die echten Kims und Parks kennen zu lernen. Eine seiner wichtigsten Erkenntnisse war, dass deutsche Spendenbriefe auch in Korea gelesen und kritisch bewertet werden, vor allem wenn es um die Beschreibung der Verhältnisse vor Ort geht.

Sehr lesenswert ist die Auseinandersetzung zwischen dem Verein, der katholischen Kirche und den Medien, nachdem sich Korean Relief in „Förderkreis für die Schwestern Maria“ umbenannt hatte, in Anspielung auf die Sisters of Mary, die die Arbeit von Pfarrer Schwartz unterstützten und heute weiterführen.

Prochazka war in seiner aktiven Zeit Dauergast beim International Fundraising Kongress in Noordwijkerhout und beim Deutschen Fundraising Kongress. Und er gehörte zu denen, die einem der kritischen Beobachter des professionellen Fundraisings, dem langjährigen DZI-Geschäftsführer Lutz Worch, auf einem Berliner Friedhof die letzte Ehre erwiesen.

Prochazka ist einer der Vergessenen, der auf die Bühne gehört, neben dem unvergessenen Lothar Schultz und anderen, die weit in die Vergangenheit blicken können.
 

Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de
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