Geldauflagen: Gerichte und Staatsanwaltschaften unterstützen gerne lokale Organisationen

Von Claudia Wohlert

In Deutschland werden jedes Jahr Geldauflagen von über 100 Millionen Euro an gemeinnützige Organisationen gezahlt, Tendenz steigend. Nach §153a der Strafprozessordnung besteht für Richter und Staatsanwälte die Möglichkeit, ein Ermittlungsverfahren beziehungsweise einen Gerichtsprozess gegen eine Auflage oder Weisung einzustellen. Eine solche Auflage kann zum Beispiel darin bestehen, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Organisation oder der Staatskasse zu zahlen.  

Doch wie erhält eine Organisation einen Eintrag in das Verzeichnis der Geldauflagen-Empfänger beim Oberlandesgericht? Einer, der es wissen muss, ist Wilhelm Heermann, Inhaber der pro fund media Services GmbH. Die Agentur verfügt über mehr als 9.500 Adressen von Personen und Behörden, die Geldauflagen gemeinnützigen Organisationen zusprechen können. Im Gespräch mit Claudia Wohlert erklärt Heermann, was zu tun ist und wie es sich in den vergangenen Jahren verändert hat.

Fundraising Echo: Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass Sie zu den bundesweit führenden Agenturen für Geldauflagen-Marketing gehören. Wer ist in Deutschland überhaupt berechtigt, Geldauflagen gemeinnützigen Vereinen zuzusprechen?

Wilhelm HeermannWilhelm Heermann kennt sich aus mit der Akquise von
Geldauflagen für gemeinnützige Organisationen.
Foto: © Wilhelm Heermann
Wilhelm Heermann: Zum einen sind es Richter, die im Strafrecht tätig sind. Diese Gruppe macht ungefähr ein Viertel aller Richter aus. Des Weiteren sprechen Staatsanwälte Geldauflagen aus. Etwa drei Viertel aller Geldauflagen kommen von Staatsanwaltschaften. Der Staatsanwalt kann unter bestimmten Bedingungen das Verfahren gegen Aussprache einer Geldauflage nicht weiter verfolgen. Es ist als ein Angebot an denjenigen zu verstehen, dem ein Verfahren droht. Es kommt bei Zahlung einer Geldauflage zu keinem Verfahren.
Bekanntestes Beispiel ist der frühere Bundespräsident Christian Wulff. Auch ihm hatte die Staatsanwaltschaft eine Geldauflage angeboten, die Wulff aber ablehnte. Er hatte sie nicht angenommen, sondern wollte das Verfahren ausgeurteilt haben. Wulff wurde freigesprochen. Hätte er die Geldauflage angenommen, wäre durch ein Verfahren seine Schuld oder Unschuld nicht festgestellt worden.
Die Geldauflage ersetzt nicht die Schuldfeststellung. Es gibt kein Urteil, da das Verfahren vorher eingestellt oder nicht durchgeführt wird. Geldauflagen sind eine prozessökonomische Idee des Gesetzgebers, um die Verfahren und Verfahrenskosten gering zu halten.  

Fundraising Echo: Welchen Vorteil haben gemeinnützige Organisationen, eine Agentur zu beauftragen, wenn sie sich doch selbst an die zuweisenden Stellen bei den Oberlandesgerichten wenden könnten?

Wilhelm Heermann: Die Organisationen wenden sich selbst an die Richter und Staatsanwaltschaften. Wir unterstützen die gemeinnützigen Einrichtungen mit einer aktuellen Adressdatenbank, in der alle Zuweiser aufgeführt werden. Natürlich könnte jede Organisation die Adressen selbst heraussuchen, das wäre jedoch mit einem großen Personal- und Kostenaufwand verbunden. Wir machen das einmal und können es anschließend preiswert anbieten. Dadurch sparen die Organisationen viel Geld. Sie schicken uns nur noch das Mailing und wir fügen die Adressen zu. Falls gewünscht, übernehmen wir auch die Gestaltung und den Text sowie die Produktion des Mailings.
 
Fundraising Echo: Wie schafft es eine unbekannte Organisation, bei Geldauflagen bedacht zu werden?

Wilhelm Heermann: Arbeitet die Organisation lokal, sollte sie prüfen, wie viele Richter und Staatsanwälte es in der Stadt gibt, diese anschreiben und ihre Arbeit vorstellen. Finden Veranstaltungen der gemeinnützigen Einrichtung vor Ort statt, kann eine Einladung an Richter und Staatsanwälte ausgesprochen werden. In der Regel kommen sie nicht, aber die Arbeit wird dadurch transparenter. Die Organisation macht „ihre Türen auf“, um Vertrauen aufzubauen. Außerdem könnte man versuchen, potenzielle Zuweiser oder die Behördenleiter in ein Kuratorium beziehungsweise beratendes Gremium der Organisation einzuladen. Das kann auf lokaler und regionaler Ebene sehr hilfreich sein.

Eine Organisation, die bundesweit Zuweiser anspricht, sollte sich die Frage beantworten, warum ein Richter zum Beispiel in Stuttgart Interesse an der Arbeit einer Organisation aus Hamburg hat? Die Frage muss man beantworten können, um zu sehen, wo man sich hinwendet und um Unterstützung fragt.

GerichtMehr als 100 Millionen Euro werden jährlich als Geldauflagen an
gemeinnützige Organisationen gezahlt.
Foto: © Fotolia
Fundraising Echo: Lohnt sich Geldauflagen-Marketing auch für kleinere Organisationen?

Wilhelm Heermann: Das müssen kleine Organisationen selbst testen. In den letzten fünf bis sechs Jahren ist die Bereitschaft von Staatsanwaltschaften und Gerichten, lokal arbeitende Organisationen zu unterstützen, aber wesentlich gestiegen. Früher waren es nur die ganz großen, etwa 200 Organisationen, die in Deutschland Geldauflagen erhielten. Inzwischen werden aber immer mehr lokal arbeitende Vereine unterstützt. Hospize erhalten besonders viel Unterstützung.

Fundraising Echo: Wie sollte ein Mailing für Geldauflagen-Marketing aussehen?

Wilhelm Heermann: Die Mailings, in denen man die Arbeit und Projekte vorstellt, sollten einfach gestaltet sowie sprachlich sachlich und fundiert sein. Von Incentives ist Abstand zu nehmen, auch wenn sie nur Cent-Beträge kosten. Richter könnten sagen, wenn die Organisation dafür Geld hat, dann brauchen sie die Geldauflagen nicht. Einmal, zu Beginn eines Jahres, sollte ein Dank an alle aktiven Zuweiser ausgesprochen werden.  

Fundraising Echo: Geht eine Geldauflage bei einer Organisation ein, wie ist dann die weitere Abwicklung?

Wilhelm Heermann: Die Organisation erhält in der Regel von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht einen sogenannten Zuweisungsbeschluss, in dem festgelegt worden ist, dass zum Beispiel Herr Meier eine bestimmte Summe bis zu einem vorgegebenen Termin zu zahlen hat. Entweder einmalig oder in Raten, was sehr häufig vorkommt. In der Regel wendet sich die Organisation an den Zuweiser (Gericht oder Staatsanwaltschaft) und berichtet über den Eingang der Zuweisung, wenn die Zahlung erfolgt oder nicht erfolgt. Die Organisationen haben ein eigenes Konto für Geldauflagen, damit sie nicht mit Spenden verwechselt werden. Für Geldauflagen gibt es keine Spendenquittung.

Ab und zu fordern die Gerichte die Organisationen auf, dem Zahlungspflichtigen Überweisungsträger zu schicken und im Falle der Nicht-Zahlung zu mahnen. Das liegt aber immer in der Entscheidung des Zuweisers. Nur was im Zuweisungsbeschluss steht, darf die Organisation ausführen. Absprachen mit dem Zahlungspflichtigen, zum Beispiel über abweichende Zahlungsmodalitäten oder das Aussetzen von Zahlungen, dürfen nur von der zuweisenden Stelle getroffen werden. Es passiert schon mal, dass ein Zahlungspflichtiger bei einer Organisation anruft und sagt, ich hätte es gern etwas anders. Die Organisation muss den Zahlungspflichtigen dann an die entsprechende Zuweisungsstelle verweisen.

Fundraising Echo: Wer entscheidet, welche Organisation den Zuspruch erhält?

Wilhelm Heermann: Der betroffene Richter entscheidet im Verfahren frei, wem das Geld zugesprochen wird. 50 bis 80 Prozent der ausgesprochenen Gelder, abhängig vom Bundesland, gehen an die Staatskasse. Entscheidet der Richter aber, dass die Geldauflage einer oder mehreren gemeinnützigen Organisationen zugesprochen wird, nimmt er die Liste des Oberlandesgerichts. Alle dort gelisteten Organisationen haben den formalen Nachweis erbracht, dass sie Geldauflagen annehmen dürfen. Staatsanwälte sind nicht frei in ihrer Entscheidung. Allein der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft bestimmt, welche Organisationen Geldzuweisungen erhalten. Er muss dabei nicht die ganze Liste vom Oberlandesgericht berücksichtigen, er kann in seinem Haus eine eigene Liste anlegen. Dann erhalten nur die auf der Liste stehenden Organisationen Geld. Staatsanwälte sind weisungsgebunden und berücksichtigen dann nur die auf der Liste stehenden Organisationen mit der Zuweisung von Geldauflagen.

Fundraising Echo: Ab und zu gelangen Gerichtsprozesse in die Medien. Oft sind sie verbunden mit Prominenten beziehungsweise sehr hohen Geldauflagen. Wenden sich die gemeinnützigen Organisationen in dem Fall gezielt an den entsprechenden Richter oder an die Staatsanwaltschaft, um für ihre Arbeit Geldauflagen zu erhalten?

Wilhelm Heermann: Vor einigen Jahren kamen Entscheidungen über diese hohen Geldauflagen noch in die Presse, bevor sie einem bestimmten Zweck zugesprochen wurden. Organisationen haben sich dann zum Teil direkt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft gewandt und gefragt, ob sie bei der Zuweisung mitberücksichtigt werden. Heute sind 98 Prozent der Geldauflagen mit der Veröffentlichung schon vergeben. Die Chance, von einer hohen Geldauflage zu erfahren, die noch keinem Zweck zugeführt ist, ist sehr gering.

 

Wilhelm Heermann, Diplom-Sozialpädagoge und Kommunikationswissenschaftler, gründete 1997 die Agentur pro fund für Kommunikation und Fundraising Management in Osnabrück. Zuvor hatte er neun Jahre bei terre des hommes gearbeitet. Seit 2014 ist er auch Geschäftsführender Gesellschafter der pro fund Media Services GmbH.
Kontakt: Wilhelm Heermann, E-Mail: info@pro-fund.de, www.pro-fund.de, Telefon: 0541/40994 - 40

 

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