Gute Texte: Liegt die Würze in der Kürze?

von Robert Exner

Aus der Schule wissen wir: Ein guter Aufsatz gliedert sich in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Die Ereignisse sind chronologisch gereiht mit Spannungsbogen. Pressemitteilungen hingegen nennen das Wichtigste gleich zu Beginn im ersten Absatz. Dabei stellen sie zuweilen den zeitlichen Ablauf auf den Kopf: So wird erst der Flugzeugabsturz gemeldet, bevor wir erfahren, dass es schon beim Start Probleme gab.

Robert Exner Robert Exner © Robert Exner

AIDA oder KISS

Für Mailings gibt es ähnliche Formate: Die spannungsbetonte AIDA-Formel steht für Attention, Interest, Desire und Action – also Aufmerksamkeit erregen, Interesse erzeugen, Wünsche wecken und eine Handlung anregen (vielleicht spenden?). Auf Kürze und Würze setzt demgegenüber die Formel KISS. Sie steht für Keep it short and simple. Also kurz und einfach soll er sein. Wohlgemerkt der Text, nicht der Kuss

Grundsätzlich empfiehlt sich eine einfache und allgemein verständliche Wortwahl – gerade dann, wenn Sie Ihre Leserinnen und Leser nicht kennen. Sie wollen ihnen doch Ihr Thema nahebringen und keine Distanz schaffen durch zu viel Fachvokabular.

Kurze Texte brauchen Zeit

„Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen." So das Postskriptum des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal im Jahr 1656 zu einem 40-seitigen Brief. Wenn Sie schon einmal Texte gründlich redigiert haben, dann wissen Sie: Umsichtiges Kürzen, präzises Formulieren, das braucht viel Zeit. Doch der Aufwand lohnt sich, denn vom Ballast befreit liest es sich leichter und vor allem lieber.

Heute hätte ein 40-seitiges Schreiben kaum noch eine Chance. Nach den ersten hektischen Wischgesten über Smartphone oder Tablet bekäme der Absender vermutlich ein gnadenloses tl;dr zurück. Tl;dr – das Chat-Kürzel ungeduldiger User für too long, didn´t read.

Twitter und Trump als Maßstab?

Ist diese Ungeduld nicht verständlich? US-Präsident Donald Trump zeigt doch seit 2017, wie sich per Twitter sogar Weltpolitik mit 140 Zeichen machen lässt. Ob nun seine Kurznachrichten als gepfeffert anzusehen sind oder als geschmacklos – um noch mal das Sprachbild der Würze zu bemühen –, darüber gehen die Meinungen auseinander. Doch viele gewinnen den Eindruck, um komplexere Themen darzustellen, einen Gedanken auszuführen, braucht es eben doch Zeit und Zeichenzahlen.

Der Deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach Anfang Mai genau zu diesem Thema: „Natürlich kann auch ein Tweet vernünftig und zivilisiert sein. So mancher kurze Hashtag hat große und wichtige Debatten angestoßen. Wichtige Debatten aber, wenn sie gut sein sollen, brauchen Zeit.“ Bei seiner Eröffnungsrede der re:publica, eine Konferenz rund um das Thema Web 2.0, soziale Medien und die digitale Gesellschaft in Berlin, wandte sich der Bundespräsident explizit gegen den „Zeitgeist von Verkürzung und Vereinfachung“. Und bekannte sich zu Recherche, Differenzierung und Abwägung, gegen Unwissen, Grobschlächtigkeit und falsche Vereinfachung.

Das Motto der re:publica 2019 war übrigens tl;dr. Bewusst als kontroverser Diskussionsbeitrag zum allgegenwärtigen Trend von (zu) kurz und (zu) einfach. „Dieses Motto ist ein Weckruf an die politische Debattenkultur – nicht nur im Netz“, so der Bundespräsident.

Erläutern oder verschleiern?

Nicht die Länge oder Kürze eines Textes scheint mir entscheidend für seine Qualität, sondern die Intention, die damit verbunden ist. Was will ich bewirken, was ist mein Ziel, welcher Eindruck soll von mir entstehen? Möchte ich etwas erläutern, die Aufmerksamkeit meiner Leserinnen und Leser lenken? Oder will ich verschleiern? Sind die Schreibenden an einem Erkenntnisgewinn der Lesenden interessiert, dann – so meine persönliche Überzeugung – wächst die Bereitschaft, auch längere Texte zu lesen.

Kürze kann Inhalt und Intention nicht ersetzen

Dass auch inhalts- und umfangreiche Spendenmailings gute Ergebnisse bringen, ist ein Beleg für die Bedeutung einer klaren Intention. Dies muss jedoch keine Rechtfertigung sein, mit jedem Brief zwei Seiten Anschreiben plus Faltblatt, Infopostkarte und Gewinn-Coupon zu versenden. Abwechslung erfreut auch Leserinnen und Spender. Ein kurzes konzentriertes Mailing, um die Dringlichkeit eines Anliegens zu verdeutlichen, kann sich abwechseln mit dem ausführlichen Porträt ehrenamtlicher Helferinnen. Mal emotionaler geschrieben, mal das Informative im Vordergrund, um nur einige Varianten zu skizzieren.

Kürze ist also nur eine formelle Möglichkeit, um Texten Würze zu verleihen. Vielleicht sollten wir besser von der Essenz der Texte sprechen. Die Form kann Inhalt und Intention, also das Essenzielle, nicht ersetzen, sondern nur betonen. Doch das erklären Sie mal Ihrem Grafiker.

 

Robert Exner ist seit 2004 selbstständig mit seinem Büro fundwort für Text, PR und Fundraising. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundwort.de
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