Verbrannte Erde

Dr. Christoph MüllerleileKolumnist Dr. Christoph Müllerleile meint ...
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Von Dr. Christoph Müllerleile

Ende vergangenen Jahres verstarb der Chefreporter des Südwestrundfunks, Professor Dr. Thomas Leif, nach schwerer Krankheit. Er wurde nur 58 Jahre alt. Es ist bezeichnend, dass sein Ableben die Medien erst mit zwei Wochen Verspätung erreichte, durch eine Todesanzeige seiner Familie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er hat nie viel aus sich selbst gemacht und über seine Krankheit war wenig nach außen gedrungen. Meine letzte E-Mail an ihn beantwortete er am 1. Dezember mit dem automatisierten Hinweis, dass er „bis auf Weiteres“ nicht antworten könne.

Thomas Leif, der studierte Publizist und Politologe, war ein kritischer Geist und es wundert nicht, dass er sich auch dem Fundraising mit Neugier und Misstrauen näherte. Immerhin verdanken wir ihm und Ulrich Galle, damals Arbeitsminister in Rheinland-Pfalz, einen der ersten Sammelbände über Social Sponsoring und Social Marketing.

Für die Fundraising Kongresse der damaligen Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing war Leif ein willkommener Moderator, denn er bescherte dem Verband Aufmerksamkeit und Legitimation. Die kritischen Podiumsdiskussionen, bei denen er als informierter Hinterfrager auftrat, dürften bis heute ihresgleichen suchen.

Offenheit gegenüber Journalisten hat allerdings auch seine Schattenseiten. Leif nahm sich während des Kongresses 2002 in Leipzig die Freiheit, mit seinem Kamerateam durch die Vortragsräume zu streifen. Beim Workshop über Erbschaftsmarketing wurde er fündig. Erfahrene Fundraiserinnen und Fundraiser berichteten ausführlich darüber, wie man potenzielle Erblasser ausfindig macht und Erbschaften gewinnt. Dabei bekam Leif vor Ort auch Karlheinz Böhm vor die Kamera, der auf eine Suggestivfrage versicherte, dass er „offensive“ Werbung für Erbschaften ablehne.

Am 9. Dezember, also kurz vor Weihnachten, kam in dem damals viel gesehenen TV-Magazin Report ein wenig schmeichelhafter Bericht mit dem Titel „Erbschaftsjäger – wie Spendenorganisationen werben“. Wortfetzen wie Abschöpfungsstrategie, Druck aufbauen, Cash Cows, Poor Dogs, von der Wiege bis zur Bahre oder Leichenfledderei reihten sich zu einem erschreckenden Gesamtbild. Einen Tag hatte das Team auch bei Greenpeace in Hamburg gedreht. Gerhard Wallmeyer und seine Truppe waren gewappnet. Von dem Tagesdreh war nichts mehr aufregend genug, ausgestrahlt zu werden.

Es versteht sich, dass Leif danach nicht mehr eingeladen wurde, denn Transparenz hat durchaus zwei Seiten: Man öffnet sich, aber man will auch wissen, was die Öffnung bewirkt. Thomas Leif war einer von denen, die ihren Gesprächspartnern Zustimmung signalisieren, dann aber bei der Verwertung quasi verbrannte Erde hinterlassen, das heißt zu riskieren, dass es sich ihre Gesprächspartner zweimal überlegen, ob sie wieder so vertrauensvoll mit Journalisten umgehen.

Gerhard Wallmeyer gab im damaligen Branchenorgan FundRaising aktuell (1/2003) Empfehlungen zum Umgang mit Medien, die nach wie vor Gültigkeit haben: „Ich habe für mich aus diesen Erfahrungen den Schluss gezogen, dass ich bei Interviews möglichst keine Worte aus dem Bereich des ‚Werbe-Neudeutsch‘ verwende und auch grundsätzlich versuche, kein einziges negatives Wort in den Mund zu nehmen. Ein Begriff wie ‚Leichenfledderei‘ kann in elektronischen Medien in völlig andere Zusammenhänge geschnitten werden und wird mir dann negativ ausgelegt. Besonders freundliche Journalisten rufen bei mir erst einmal Misstrauen hervor. Entweder sind sie Greenpeace gegenüber grundsätzlich freundlich gesonnen. Dann taucht häufig das Problem auf, dass sie glauben, sie wüssten schon alles. Oder aber sie führen etwas im Schilde. Eigentlich müssen Journalisten ja immer kritisch nachfragen. Wenn das nicht geschieht, stimmt meist etwas nicht. Was man als Interviewter sagt, scheint völlig egal zu sein. Verwendet man ein Wort, einen Schlüsselbegriff, der in das vorgefertigte Konzept des Redakteurs passt, wird der Begriff als Beleg eingeblendet. Man findet sich als Zeuge wieder für etwas, was man so nie gemeint hat und was man auch so nie gesagt hat. Deshalb ist es auch gefährlich, lange Interviews zu geben oder etwa die Fragen des Interviewers zu beantworten. Das ist zwar im normalen Leben unhöflich, aber die Fragen werden im gesendeten Beitrag eh herausgeschnitten. Eigentlich darf man nur das sagen, was man sich vorher vorgenommen hat und man darf nur in positiven Begrifflichkeiten formulieren.“

Thomas Leif hat selbst erfolgreich und spektakulär sein „netzwerk recherche“ aufgebaut, eine Nonprofit-Organisation, die ethische Maßstäbe für journalistische Recherche und professionelle Unabhängigkeit setzt. Umso tragischer ist es, dass der Verdacht unsauberer Abrechnungspraktiken seine Verdienste trübte und er den Vorsitz 2011 nach zehn Jahren abgeben musste. Seine Mitstreiter bemängelten, dass er seine Mitverantwortung relativ spät eingeräumt habe. Selbst bereichert hatte er sich allerdings nie.
 

Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de
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