Berühren um jeden Preis? Vom Umgang mit Texten und Bildern im Spendenmailing

Von Helga Raible

Helga RaibleHelga RaibleWer Spendenmailings als Fundraising-Instrument einsetzt, steckt im Dilemma. Um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erzielen, müssen professionelle werbliche Mittel her: Starke Stories, plakative Darstellung, emotionalisierende Bilder, personalisierte Anspracheformen. Gleichzeitig sind FundraiserInnen selbst gesetzten ethischen Grundsätzen verpflichtet: Wahrhaft und offen aufzutreten, die Würde derer zu achten, für die um Spenden geworben wird, die Souveränität der Spender zu respektieren. Wie diese beiden Positionen zu vereinbaren sind, muss in der Praxis immer wieder neu austariert werden. Da helfen auch Vorgaben wie die Handreichung „Ethik in Spenden-Mailings“ von DZI und Venro nur begrenzt. Denn Ethik lässt sich nicht in Regelwerken und Handlungsanweisungen fassen. Ethik braucht den Diskurs, vor allem mit den internen Beteiligten. Dazu einige Beispiele aus der Fundraising-Praxis im Sozialbereich.
 
Wenn Authentizität an Schamgrenzen stößt
Mailings brauchen starke Geschichten, lehren die Marketing-Experten. Geschichten über Menschen, die Emotionen wecken und einen starken Hilfeimpuls auslösen. Über Menschen also, denen es schlecht geht und deren Notlage leicht verständlich darzustellen ist. Wahrhaftig und authentisch sollen diese Geschichten natürlich auch sein. So weit die Theorie. Im Sozialbereich ist das umso schwerer zu lösen, je größer die räumliche Nähe zwischen Tätigkeits- und Fundraisinggebiet einer Organisation ist. Die Familie, die durch die Betreuung eines schwer behinderten Kindes in wirtschaftliche Not gerät, will nicht, dass Nachbarn und Kollegen davon erfahren. Ähnlich reagieren Angehörige von Psychiatrie-Patienten. Die Abwehr ist meist umso größer, je größer die Not ist – also immer dann, wenn eine Geschichte aus werblicher Sicht am besten geeignet wäre. Aus Respekt vor den Schamgefühlen der Menschen, die in sozialer Not leben, verbietet sich im „Nahraum“ häufig die Darstellung ihrer Lebensgeschichte. Dann hilft nur eine starke Verfremdung – trotz aller Ansprüche auf Wahrhaftigkeit und Authentizität.
 
Klientenschutz auch bei der Bildauswahl
Was für die Geschichten gilt, trifft verstärkt auf die Auswahl von Bildern zu. Ausdrucksstarke Fotos sind im Mailing unverzichtbar. Dass sie nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Abgebildeten veröffentlicht werden, ist selbstverständlich. Aber während es für Familien im Tschad vermutlich weniger wichtig ist, ob Bilder ihrer Kinder in Europa veröffentlicht werden, ist im Nahraum nur schwer das nötige Einverständnis zu bekommen. Die Erfahrung zeigt: Von 50 betreuten Familien ist höchstens eine bereit, uns Fotos für die Spendenwerbung zu überlassen. Und damit ist noch nicht gesagt, dass diese Bilder qualitativ geeignet sind. Die Hürden für ein professionelles Fotoshooting sind allerdings noch höher. Wenn Argumente und Überzeugungskraft nicht ausreichen, geht es nicht ohne gestellte oder gekaufte Stockfotos.
 
Schockwirkung erlaubt
Die Bilder im Mailing dienen nicht der Illustration, sondern wirken – weit mehr als der Text – auf emotionaler Ebene. Sie sollen laut DZI und Venro die reale Situation widerspiegeln, ohne Schockwirkungen zu erzeugen. Wessen Maßstab ist hier zugrunde zu legen? Sind Bilder von Frühgeborenen im Brutkasten erlaubt? Für Außenstehende wegen der vielen Elektroden und Infusionsschläuche ein schockierendes Bild, aber für die Eltern ein vertrauter Anblick. So haben sie ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten gesehen. Warum also diese reale Situation „weichzeichnen“? Wenn die Betroffenen selbst sie für normal halten, sind auch solche Bilder berechtigt.
 
Verständlichkeit versus Political Correctness
Wichtige interne Partner fürs Fundraising sind die Projektmitarbeiter. Sie liefern Hinweise für Geschichten und stellen Kontakte her zu den Betroffenen. Sie können am besten bewerten, ob die Darstellung von Notsituationen und Hilfsangeboten plausibel und angemessen ist. Andererseits sind sie aus fachlicher Sicht sensibel für eine etwaige Stigmatisierung ihrer Klienten. Sie legen Wert auf eine möglichst „normalisierende“ Darstellung, die die Ressourcen der Klienten in den Vordergrund stellt. In der Spendenwerbung hingegen müssen Defizite benannt werden, um den Handlungsbedarf deutlich machen. Hier prallen nicht nur fachliche Perspektiven aufeinander, sondern auch verschiedene Sprachen. „Teilhabe-Erschwernisse“ statt „Behinderung“, „Assistenz“ statt „Hilfe“ – ein solches Wording macht pointierte, verständliche Mailing-Texte schwer. Doch mit Überrumpelung nach dem Motto „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“ ist dem Fundraising nicht gedient. Vielmehr ist Argumentations- und Integrationsfähigkeit gefordert, verbunden mit Empathie und Verständnis für die fachliche Position.
 
Personalisierung – Technik oder Betrug?
Das Mailing ist deshalb nach wie vor so erfolgreich als Fundraising-Instrument, weil es – nach dem persönlichen Gespräch – am besten geeignet ist, den direkten Kontakt zum Empfänger zu knüpfen. Deshalb wird viel Wert darauf gelegt, trotz Massenfertigung persönliche Beziehung zu simulieren. Personalisierte Ansprache, Foto des Vorstands, eingescannte Unterschrift, natürlich in Blau, damit es wie „echte“ Tinte aussieht – diese Elemente haben sich etabliert und werden ohne ernsthafte Bedenken eingesetzt. Aber spätestens, wenn Anrufer sich beim erstaunten Vorstand für „den Brief, den Sie mir geschrieben haben“ bedanken oder der Fundraiser beim Bäcker auf sein Dankschreiben angesprochen wird, wird klar: Der Grat zur Irreführung des Spenders ist schmal. Die technischen Möglichkeiten sind verlockend. Da verspricht ein Dienstleister gar, man könne Mailings aussehen lassen „wie handgebastelt“. Mindestens das müsste sich aus Respekt vor dem Spender von selbst verbieten. Die maschinelle Fertigung und damit der Mailing-Charakter darf nicht nur, sie muss auch erkennbar bleiben.
 
In Balance bleiben
Mailing-Produktion ist ein ethischer Balanceakt. Damit er gelingt, damit also ein Mailing erfolgreich und ethisch verantwortlich zugleich ist, braucht es außer Marketing-Kompetenzen persönliche Sensibilität und Gespür für ethische Grenzen. Und es braucht Kommunikation: mit Kollegen, Betroffenen, Projektmitarbeitern. Was für das Fundraising gilt, trifft auch auf die Mailing-Produktion zu. Sie ist in vielerlei Hinsicht Beziehungsarbeit. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Qualität des internen Netzwerks. Und das kann weder ein externer Dienstleister ersetzen noch die bestgemeinten Anleitungs- und Regelwerke.

 

Helga Raible ist Fundraising Managerin (FA), Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Sozialarbeiterin. Nach zehn Jahren praktischer Sozialarbeit in Berlin wechselte sie vor 17 Jahren als Redakteurin in die Pressestelle der Stiftung Liebenau, eine der größten deutschen Trägerstiftungen im Sozialbereich mit Sitz im südlichen Baden-Württemberg. Seit 2012 leitet sie hier die Abteilung Kommunikation und Fundraising. Kontakt: helga.raible@stiftung-liebenau.de

 

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