Bürgerstiftung Braunschweig gründet eigenen Immobilien-Fonds

Von Claudia Wohlert

DeissnerUlrich E. Deissner erwirtschaftet mit der
Bürgerstiftung gute Renditen.
Foto: © Anne-Sophie Wittwer
In Zeiten der Niedrigzinspolitik stehen viele Stiftungen mit geringem Kapital vor großen Herausforderungen, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zeigte. Ein Drittel der Stiftungen insgesamt und nur gut die Hälfte der kleineren Stiftungen mit weniger als einer Million Vermögen erwarten Renditen oberhalb der Jahresinflationsrate. Wie man trotz geringem Kapital höhere Renditen erwirtschaften kann, zeigt das Beispiel der Bürgerstiftung Braunschweig. Im Gespräch mit Claudia Wohlert erläutert Ulrich E. Deissner, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung, die Idee eines eigenen Stiftungsimmobilien-Fonds.

Fundraising-Echo: Als Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Braunschweig sagten Sie in einer Rede einmal: „Frei nach Kennedy frage ich mich nicht, was meine Stadt für mich tun kann, sondern was ich für meine Stadt tun kann.“ Können Sie bei der gegenwärtigen Niedrigzinspolitik noch etwas für Ihre Stadt tun?

Ulrich Deissner: Ja, wir erwirtschaften gute Zinsen, außerdem besitzt die Bürgerstiftung darlehensfreie Immobilien. Die Einnahmen sind relativ stabil. Von Gründung an stand für uns fest, dass wir uns auch als Unternehmen sehen. Wir haben Kunden, das sind unsere Stifter und Spender, und wir haben Förderpartner. Professionelles Fundraising schafft zudem eine Ressource, die unser Kapital sowie unsere Fördertätigkeit und somit unsere Unabhängigkeit stärkt. Das Grundkapital der Stiftung war zum Gründungszeitpunkt gering. Im Fokus stand immer das Thema Dienstleistung für Stifter. Inzwischen verwaltet die Bürgerstiftung Braunschweig 34 Treuhandstiftungen, drei Stifterfonds und drei selbstständige Stiftungen und insgesamt ein verwaltetes Stiftungskapital von ca. 13 Millionen Euro. Das durch die Bürgerstiftung verwaltete (Geld-)Kapital ist in einem eigenen Bürgerstiftungs-Fonds, einem Investment-Fonds, gepoolt. Aus anfänglich 20 Treuhandstiftungen wurden 34, außerdem kamen weitere Bürgerstiftungen und andere Stiftungen aus unserem Umfeld dazu.

Fundraising-Echo: Bei der diesjährigen Förderpreisverleihung der Stiftung Aktive Bürgerschaft gehörten Sie zu den Finalisten. Sie entwickelten ein Konzept, um mit Immobilien bessere und nachhaltigere Renditen zu erzielen. Können Sie das Konzept kurz vorstellen?

Ulrich Deissner: Wir wollen das erfolgreiche Konzept des eigenen Bürgerstiftungs-Fonds auf einen Immobilien-Fonds übertragen. Unserer Meinung nach ist es sehr wichtig, dass ein Teil des Stiftungskapitals in andere Anlageformen als in Geld fließen sollte. Und da bieten sich Immobilien an. Es gibt viele Stiftungen, deren Kapital nicht für den Kauf einer Immobilie ausreicht. Aber unter dem Dach eines Immobilien-Fonds könnten sie sich beteiligen. Wahrscheinlich wird es eine gGmbH, in der sich vielleicht fünf/sechs Stiftungen mit jeweils 500.000 Euro an einer Immobilie beteiligen. Diese sollte idealerweise auch den Stiftungszweck erfüllen. Zum Beispiel: Fördert die Stiftung Studenten, wäre ein Studentenheim denkbar. Daneben ist der Kauf von Sozialwohnungen oder Alten- beziehungsweise Pflegeimmobilien möglich. Durch das Pooling bietet man mehreren Stiftungen die Chance, in ihrer Nähe eine Immobilie zu erwerben, die den Stiftungszweck erfüllt und die deren Lage bekannt ist, statt einen beliebigen Anteil an einer Immobilie, zum Beispiel in London, zu kaufen.

Fundraising-Echo: Demnach sind es Sozialimmobilien, die Sie erwerben wollen?

Ulrich Deissner: Genau, das ist ein Ziel von mehreren. Wir suchen zum Beispiel in Braunschweig den Kontakt zu Bauträgern oder Wohnungsbaugenossenschaften, die ganze Quartiere entwickeln. Die Idee ist, dort ein Grundstück zu erwerben, wo zum Beispiel zehn bis zwanzig Sozialwohnungen oder eine Kita gebaut werden können.

Fundraising-Echo: Wer entscheidet darüber, welche Immobilie gekauft wird?

Ulrich Deissner: Die Entscheidung fällt nach einer Diskussion im Vorstand. Ist eine Immobilie gefunden, sprechen wir andere Stiftungen an, ob sie sich beteiligten möchten. Die Idee des Immobilien-Fonds wurde bereits im Vorwege mit anderen Bürgerstiftungen in Hamburg und Hannover besprochen.

Fundraising-Echo: Momentan gibt es 411 Bürgerstiftungen in Deutschland. Von wie vielen wünschen Sie sich eine Beteiligung am Immobilien-Fonds?

Ulrich Deissner: Uns reichen zum Start drei bis fünf Bürgerstiftungen. Aber generell kann sich jede Stiftung beteiligen, Privatleute jedoch nicht. Es ist ähnlich wie bei dem Bürgerinvestment-Fonds. Den hatten wir anfangs aufgrund der vielen Treuhandstiftungen nur für die Bürgerstiftung Braunschweig gedacht. Inzwischen investieren aber zusätzlich 15 Bürgerstiftungen in den Fonds. Die Stiftungen haben alle das gleiche Problem: Gehen sie mit wenig Kapital zur Bank, wird ihnen nur ein „Standard“-Fonds verkauft. Bei dem Bürgerstiftung-Fonds können die Stiftungen einen Fonds kaufen, über den die Stiftungen durch Mitwirkung im Anlageausschuss selbst entscheiden.

Fundraising-Echo: Wer vertreibt den Bürgerinvestment-Fonds?

Ulrich Deissner: Es ist zwar ein Publikumsfonds, aber es gibt keinen Vertrieb. Wir propagieren das bei den Bürgerstiftungen und in unserem Umfeld der Braunschweiger Stiftungen. Inzwischen hat der Fonds ein Volumen von über 14,5 Millionen Euro angenommen.

Fundraising-Echo: Wann starten Sie den Immobilien-Fonds?

Ulrich Deissner: Wenn die geeignete Immobilie gefunden ist. Aktuell gibt es ein interessantes Grundstück in Braunschweig. Dort sollen 400 Wohnungen, ein Kindergarten und Sozialwohnungen gebaut werden. Der Bauträger ist gewiss froh, wenn er den Kindergarten oder die Sozialwohnungen nicht bauen muss und sich stattdessen eine Stiftung dafür stark macht.

Fundraising-Echo: Wollen Sie nur im Raum Braunschweig investieren?

Ulrich Deissner: Nein. Finden zum Beispiel die Kollegen von der Hamburger oder der Hannoveraner Bürgerstiftung eine geeignete Immobilie, wird dort investiert. In der Immobilien-Wirtschaft stellt man sich immer drei Fragen: Lage? Lage? Lage? Damit ist die Nachhaltigkeit gewährleistet. Wir würden nicht auf dem Dorf oder in einer Stadt bauen, wo die Nachfrage nach Kindergartenplätzen gering ist beziehungsweise die Demographie bereits greift. Die Wahrscheinlichkeit, dass zum Beispiel der Kindergarten nach zehn Jahren schließen müsste, wäre zu groß. Das ist nicht nachhaltig.

Fundraising-Echo: Wann erhalten die Stiftungen ihr investiertes Geld zurück?

Ulrich Deissner: Der Kauf einer eigenen Immobilie ist eine langfristige Anlage. Die gegründete Gesellschaft kann nach X Jahren beschließen, dass sie die Immobilie verkaufen und den Erlös verteilen. In der Immobilienbranche denkt man langfristig. Es sollen nachhaltige Erträge erwirtschaftet werden und das möglichst über Dekaden. Die Immobilie muss erhalten und bewirtschaftet werden. Somit sind die Mieteinnahmen nicht gleich dem Ertrag für die Stiftungszwecke. Die Rendite wird nicht bei zehn Prozent, sondern eher bei vier bis fünf Prozent liegen, da auch Bewirtschaftungskosten anfallen.

Fundraising-Echo: Wer verwaltet die Immobilie?

Ulrich Deissner: Zum Beispiel eine Verwaltungsfirma, die wir kontrollieren. Liegt die Immobilie in Hamburg, kümmert sich die dortige Bürgerstiftung um die Verwaltung.

Fundraising-Echo: Seit 2003 sind Sie bei der Bürgerstiftung Braunschweig. Was treibt Sie an?

Ulrich Deissner: Ich möchte ein Stück von dem zurückgeben, was mir in meinem Leben passiert ist. Ich bin beruflich erfolgreich gewesen und habe Spaß daran zu helfen. Außerdem kann die Bürgerstiftung Braunschweig wirklich etwas bewegen. Es herrscht eine große Akzeptanz innerhalb der Braunschweiger Gesellschaft. Unsere großen Projekte sind sehr erfolgreich, und es ist schön zu sehen, dass Kindern und anderen Menschen geholfen wird. Gerade auch jetzt beim Thema Flüchtlinge.
 

Ulrich E. Deissner (75), Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Braunschweig, lebt mit seiner Frau in Braunschweig. Im Berufsleben war er selbstständiger Kaufmann. In der Stiftung hat er die Aufgaben des Geschäftsführers übernommen. Im Oktober 2013 erhielt Ulrich E. Deissner von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz.

www.buergerstiftungbraunschweig.de
Tel. 0531/48202400, E-Mail: info@buergerstiftung-braunschweig.de

 

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