„Die Bildungs-Chancen-Lotterie soll eine Art Gesellschaftsspiel mit vielen Gewinnern werden“

Von Claudia Wohlert

Deutschland steht im Bildungsbereich vor großen Herausforderungen. Ob es der wachsende Anteil der Migranten oder die Digitalisierung ist, die Bildungsaufgaben werden immer komplexer und anspruchsvoller. Das einzelne Individuum kommt oft zu kurz. Um genau dem entgegenzuwirken, riefen der Stifterverband, die SOS-Kinderdörfer weltweit und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung eine neue Soziallotterie, die Bildungs-Chancen-Lotterie, ins Leben. Warum es diese Lotterie braucht und welche Ziele sich die teilnehmenden Organisationen gesteckt haben, erklärt Professor Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes, im Gespräch mit Claudia Wohlert. 
 
Fundraising-Echo: Seit 1969 gibt es die Glücksspirale. Die Erträge fließen in den Sportbund, die Wohlfahrtspflege, den Denkmalschutz und die Stiftung Natur und Umwelt. 2013 wurde zusätzlich die Deutsche Sportlotterie ins Leben gerufen. Braucht Deutschland noch eine weitere Soziallotterie?

Prof. Andreas Schlüter: Es gab bislang keine für Bildung, die wichtigste Aufgabe unserer Gesellschaft. Davon hängt der Wohlstand unseres Landes, das Glück vieler Menschen ab. Bildung ist die Basis für die Leistungsfähigkeit in unserer Gesellschaft und für jeden Einzelnen.

Fundraising-Echo: Der Stifterverband hat die Lotterie nicht allein ins Leben gerufen, sondern sich zwei starke Partner zur Seite geholt. Warum?

Andreas Schlueter Prof. Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbands.
Foto: © Bildungs-Chancen-Lotterie
Prof. Andreas Schlüter: Bei einem Austausch mit den SOS-Kinderdörfer weltweit tauchte das Thema Lotterie auf. Sowohl der Stifterverband als auch SOS-Kinderdörfer hatten sich getrennt voneinander dazu Gedanken gemacht. Wir kamen zu dem Entschluss, die Aufgabe gemeinsam anzugehen und eine Lotterie für Bildung ins Leben zu rufen. Das war 2013. Als dritte Organisation holten wir die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung mit ins Boot. Auch dort war das Thema, eine Lotterie ins Leben zu rufen, nicht neu. Wir sind drei große Organisationen, die alle das Thema Bildung in ihrer Zweckbestimmung haben. Und es ist einfacher und erfolgreicher, wenn wir zu dritt starten, als jeder für sich allein.

Fundraising-Echo: Der Stifterverband und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung fördern Bildung in Deutschland, die SOS-Kinderdörfer weltweit? War es schwierig, diese verschiedenen Förderungen anerkannt zu bekommen?  

Prof. Andreas Schlüter: Nein, gar nicht. Uns verbindet bei aller Verschiedenheit der Ansätze und Mittel ein großes gemeinsames Ziel: Jedem Menschen zu ermöglichen, das Beste aus seinen Talenten machen zu können. Und wir sind alle gemeinnützig. Darüber hinaus haben wir im Rahmen der Lotterie klare Regeln für die Förderungswürdigkeit von Projekten getroffen. Die gelten für unsere eigenen Projekte, die wir aus den Erträgen der Lotterie durchführen wollen, als auch für Projekte von externen Antragstellern, die sich um die 20 Prozent der Fördermittel bewerben können, die frei vergeben werden. Für die Auslandsförderung gilt: Das Glücksspielkollegium hat ausdrücklich genehmigt, dass bis zu 30 Prozent der Ausschüttung für die gemeinnützigen Zwecke auch weltweit verwendet werden dürfen. Das läuft komplett über die SOS Kinderdörfer weltweit.

Fundraising-Echo: Welche Organisationen können bei Ihnen Anträge stellen?

Prof. Andreas Schlüter: Bewerben können sich ausschließlich steuerbefreite Körperschaften oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, keine Einzelpersonen oder Unternehmen. Natürlich müssen die Anträge unseren Förderrichtlinien entsprechen. Wir legen zudem großen Wert auf ein inhaltlich überzeugendes Konzept. Wichtig ist, dass wir uns vorgenommen haben, vor allem Menschen und nicht so sehr Institutionen zu fördern. Es gibt viele Kinder, die ein großes musikalisches Talent haben, aber nie die Chance bekommen, ein Instrument zu spielen. Und es gibt viele junge Menschen, die das Potenzial haben zu studieren, dabei aber aus dem Elternhaus nicht unterstützt werden, aus welchen Gründen auch immer. Genau da wollen wir ansetzen und die Menschen identifizieren, die nicht ausschließlich aus eigener Kraft in der Lage sind, die Chancen zu nutzen, die ihnen das Bildungssystem bietet. Die Projekte, die wir fördern, sollen ihnen dabei helfen, ihre individuellen Potenziale zu entdecken und zu entfalten.

Fundraising-Echo: Und wie wollen Sie diese Menschen identifizieren?

Prof. Andreas Schlüter: Wir stehen in Kontakt mit vielen Institutionen, die sich mit diesen Themen seit Längerem beschäftigen. Selbst im Stifterverband gibt es eine kleine Stiftung, die genau das seit ein paar Jahren praktiziert. Diese Stiftung unterstützt einzelne Initiativen an Schulen. Es gibt auch individuelle Patenprogramme, um jungen Menschen zu helfen. Die Auswahl an Förderungsmöglichkeiten ist groß.

Daneben wünschen wir uns, mit den Lotterie-Spielerinnen und -Spielern in einen Dialog zu kommen. Sie sollen sich in Zukunft daran beteiligen können, wohin das Geld fließt. Die anschließenden Ergebnisse werden ebenfalls kommuniziert. Außerdem besteht die Möglichkeit, weitere Informationen über die jungen geförderten Menschen zu erhalten, ihr Einverständnis vorausgenommen. Das Internet ermöglicht diese Option. Die Hoheit der Daten bleibt jederzeit bei uns.

Fundraising-Echo: Wie sehen Sie die Zukunft für die Bildungs-Chancen-Lotterie?

Prof. Andreas Schlüter: Unsere Vision ist, dass die Bildungs-Chancen-Lotterie eine Art Gesellschaftsspiel wird, bei dem es viele Gewinner gibt. Einerseits gewinnen die Spielbeteiligten und andererseits gewinnen die geförderten Menschen. Das Gespräch mit vielen Menschen über das Thema Bildung ist genauso wichtig wie das Geldeinsammeln für gemeinnützige Zwecke. Wir wollen gemeinsam sichtbar machen, was alles mit relativ kleinen Mitteln bewegt werden kann und dass Bildung eine Aufgabe von uns allen ist.
 

Professor Andreas Schlüter ist seit 2005 Generalsekretär des Stifterverbandes in Essen. Er studierte Jura und Betriebswirtschaft und sammelte unter anderem berufliche Erfahrungen als Geschäftsführer der Bertelsmann Stiftung und als Generalsekretär des Goethe-Instituts. Er arbeitet als Rechtsanwalt, lehrt an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zum bürgerlichen Recht, insbesondere Stiftungsrecht sowie Handels- und Wirtschaftsrecht.

 

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