Erbschaften: Plötzlich beste Freunde

Von Dr. Christoph Müllerleile

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph Müllerleile„Sie können UNICEF in Ihrem Testament als Erben oder Miterben einsetzen. In diesen Fällen übernehmen wir entsprechende Rechte und Pflichten und tragen Sorge dafür, dass Ihr letzter Wille in Ihrem Sinne umgesetzt wird. Wir binden einen erfahrenen Fachanwalt für Erbrecht ein, der die korrekte Abwicklung unterstützt. Wenn UNICEF als Haupt- oder Alleinerbe eingesetzt wird, kümmern wir uns um alles Nötige – zum Beispiel um die Wohnungsauflösung oder die Grabpflege. Als gemeinnützige Organisation ist UNICEF von der Erbschaftsteuer befreit. Deshalb kommt das gesamte Vermögen, das Sie UNICEF vermachen, der Hilfe für Kinder zugute.“ Im Internet ist alles geregelt.

Ein sparsamer Patentamts-Beamter in Bad Tölz hatte bestimmt, dass UNICEF zwei Drittel seines mehr als eine Millionen Euro stattlichen Vermögens erben sollte. Das restliche Drittel sollte an den Bruder gehen, der aber vor ihm verstarb. Die Frau des verstorbenen Bruders macht geltend, dass ihr dessen Anteil zustehe, weil der Erblasser ihr dies so gesagt habe. Das deutsche Erbrecht sieht aber nicht vor, dass automatisch die Kinder des Bruders oder andere Verwandte die Erbfolge antreten, wenn im Testament dazu kein Hinweis enthalten ist. Ohne weitere Hinweise auf einen so genannten Ersatzerben, fällt das Erbe dem Miterben – in diesem Fall UNICEF – zu. So die Argumentation von UNICEF.

Ein komplizierter Fall, der vor Gericht und durch den „Spiegel“ in die breite Öffentlichkeit gelangt ist. Das soziale Netz tobte sich in einem Shitstorm aus. Aus der eigenen Erfahrung mit Erbschaften wissen wir, dass Erblasser ihr Vermögen durchaus dem eigenen Nachwuchs oder scheinbar Nahestehenden entziehen wollen, mit ihnen darüber aber aus verständlichen Gründen nicht reden. Mancher von uns Fundraisern kann von wohlhabenden Alleinstehenden erzählen, die im Alter von dienstbaren Geistern geradezu belagert wurden. Alle waren natürlich nur selbstlos am Wohl des oder der Betreuten interessiert. Sie fingen jeden störenden Brief von Hilfswerken ab und überwachten penibel das Gespräch mit den Pfarrern, die ihre vermeintlich unmündigen Schützlinge auf wohltätige Gedanken hätten bringen können. Und dann kam die Testamentseröffnung, und alle Speichellecker gingen leer aus. Das Wohnhilfswerk für behinderte Menschen und der Nachbarjunge, der ohne Hintergedanken den Hund ausgeführt hatte, erbten alles.

Letztlich zählt der letzte Wille des Erblassers und nicht der der vermeintlich besten Freunde, denen angeblich so viel versprochen wurde, die sich das aber auch eingebildet haben können. Den nächsten Angehörigen sichert das deutsche Erbrecht einen Pflichtteil zu, der unabhängig vom Willen des Erblassers gewährt wird. Umso wichtiger ist es, dass der Erblasser rechtzeitig und rechtssicher regelt, was mit dem Rest geschehen soll. Viele Nonprofit-Organisationen wie UNICEF sind hier bestens aufgestellt und beraten Interessierte kompetent und durchaus nicht geldgierig. Ich habe selbst mehrere Informationsveranstaltungen von gemeinnützigen Organisationen zum Thema Erbrecht als umworbener Gast beobachtet und bin bei keiner auf unbillige Einflussnahme gestoßen. Im Gegenteil habe ich mich immer wieder gewundert, wie bescheiden der „Werbeblock“ für die eigene Sache ausfiel.

Trotz des eindeutigen letzten Willens der Erblasser meinen viele in der Bevölkerung immer noch, Hilfswerke nähmen sich, was ihnen nicht gehört. Wir werden gegen dieses Vorurteil kaum ankommen. Plötzlich beste Freunde gibt es überall, und für viel Geld wird auch gerne beschönigt und geglättet. Richter und Anwälte kennen das aus täglicher Praxis. Die meisten Berichterstatter in den Medien aus eigenem Erleben auch. Es ist gut, dass UNICEF rasch und einleuchtend auf den Spiegel-Online-Artikel reagiert hat, der mit „Ein Zeichen ganz besonderer Gier“ überschrieben war und mit einem sich betrogen fühlenden Patenkind aufwarten konnte, dem der Onkel gelegentlich schrieb. Dass etwas am großen Hilfswerk hängen bleibt („Da war doch mal was“) und Leute, die nie etwas vererbt hätten, nun UNICEF erst recht nicht bedenken wollen, gehört zu den Unbilden des Alltags.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundraising-buero.de

 

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