„Ich weiß, dass Spender uns wegen dieser Offenheit schätzen.“ Gutes Fundraising dank guter Organisationskultur bei Ärzte ohne Grenzen in New York.

Von Constanze Kernbach

Constanze KernbachConstanze KernbachIm Frühjahr erfüllte ich mir einen privaten und beruflichen Traum und arbeitete drei Monate in der Fundraising-Abteilung des amerikanischen Zweigs von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in New York. Umgeben von 29 Fundraiserinnen und Fundraisern analysierte und dokumentierte ich Geschäftsprozesse in den Bereichen Akquise, Spendenverwaltung und Telefonmarketing.

Ich habe dort viel Spannendes erlebt. Doch vor allem habe ich beobachtet, wie eine Organisation es schafft, ihre Werte zu leben und Idealvorstellungen wie Kritik- und Veränderungsfähigkeit, Transparenz, Offenheit und Partizipationsmöglichkeit im Arbeitsalltag umzusetzen. Und ich habe gesehen, wie eine lebendige, von allen mitgetragene Organisationskultur die Arbeit der Fundraiser und die Beziehung zu Spendern maßgeblich beeinflusst.
 

Einige Beispiele für meine erste Beobachtung:

  • Obwohl ich nie zuvor für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hatte, genoss ich vom ersten Tag an volles Vertrauen. Ich konnte Unterlagen sichten, die strategische Fehler aufzeigten, nahm an Treffen teil, bei denen freundlich Tacheles geredet wurde, sprach mit Kollegen (auch auf Führungsebene) über Themen, die vielen Fundraisern Bauchschmerzen bereiten. Offene Karten also von Beginn an. Sehr sinnvoll, aber keineswegs selbstverständlich.
  • Trotz der beachtlichen Größe des amerikanischen Zweigs (ca. 90 Mitarbeiter) hatte ich persönlichen Kontakt zur Geschäftsführerin. Sie nahm sich bei ihren regelmäßigen, offenen Treffen Zeit für alle Neuankömmlinge. Alle Fragen zur Organisation waren willkommen.
  • Auch der Vorstand verhielt sich transparent, was die Vereinsstruktur von Ärzte ohne Grenzen mit sich bringt. Stimmberechtigte Kollegen konnten die Kandidaten im internen Forum, bei der Vorstandssitzung oder kurz vor der Wahl auf der Jahreshauptversammlung ausgiebig befragen.
  • Mitarbeiter aus den internationalen Einsatzgebieten stellten regelmäßig ihre Arbeit vor – auf Wunsch auch den Kollegen, die damit akut nichts zu tun hatten. Das schuf große Nähe zur Arbeit im Feld.
  • Kritik an der Organisation war nicht nur willkommen, sondern wurde sogar bewusst gefördert; so schaute ich z.B. gemeinsam mit Kollegen in der Mittagspause den Film „The Trouble with Aid“, der auch die Schattenseiten der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen deutlich aufzeigt.
  • Auch in schwierigen Momenten bezog die Geschäftsführerin alle Mitarbeiter mit ein. Als es entscheidende Neuigkeiten über entführte Kollegen in einer Krisenregion gab, die der Geheimhaltung bedurften, rief sie noch vom Flughafen aus eine Mitarbeiterversammlung für den gleichen Nachmittag ein.
  • Während meiner Zeit in NYC besuchten uns Fundraising-Kollegen des australischen, britischen und kanadischen Zweigs: Sie stellten gelungene Projekte vor, boten Vorlagen und Auswertungen an. Dieser Wissensaustausch spart Zeit und Geld – doch andere große Organisationen tun sich teilweise schwer damit.

 
Soweit zur Organisationskultur. Und deren Wirkung auf die Arbeit meiner Fundraising-Kollegen? Gespannt fragte ich nach:

„Ich fühle mich sehr frei im Gespräch mit Spendern, ich muss nichts verbergen, mich nicht verbiegen“ sagte z.B. Laurel, Referentin für Nachlassspenden. „Auch über die Schwierigkeiten unserer Arbeit kann ich offen sprechen. Ich weiß, dass Spender uns wegen dieser Offenheit schätzen. Alles andere, ein nur rosiges Bild - das wären nicht wir“. Laurel ist begeistert davon, dass sie von Anfang an dazu ermutigt wurde, sich eine eigene Meinung über die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen zu bilden. Und diese auch im Kontakt mit Spendern kundtun kann. Nach ihrer letzten Stelle in der Fundraising-Abteilung einer großen Universität war das ein Plus, das sie noch immer schätzt. „Dort hatte ich immer das Gefühl, mit Spendern nicht völlig offen über alles reden zu können. Bei Ärzte ohne Grenzen muss ich mich nicht fragen, ob ich unloyal bin oder zu kritisch, denn ich weiß, dass Kritik willkommen ist und mir vertraut wird. Und das spürt der Spender“.

Ihre Kollegin Stephanie, Referentin für Großspender, teilt Laurels Meinung. Als Quereinsteigerin war sie zunächst zögerlich, als ihr nach einigen anderen Positionen in der Organisation ihre jetzige Stelle angeboten wurde. Doch ihre Zweifel schwanden schnell. Denn in allen Gesprächen geht es immer nur um das, was Ärzte ohne Grenzen 'tatsächlich' tut. Nie musste sie etwas beschönigen. Mitarbeiter, die im Feld waren und zu Spendertreffen kommen, brieft sie mit nur einem Satz: „Beantworte einfach die Fragen“. Und genau diese Authentizität finden die Spender gut. Auch kontroverse Themen wie Abtreibung muss sie nicht umschiffen, um einen Spender zu binden.

Valeria, Referentin für Großspender, schätzt es, dass sie nach Jahren immer wieder Neues über die Organisation erfährt und Mitarbeiter eingeladen sind, ihren Horizont zu erweitern. „Manchmal fühle ich mich wie in der Schule - im positiven Sinne“. Sie hat das Gefühl, wirklich Teil von Ärzte ohne Grenzen zu sein. Bei der Jahreshauptversammlung hatte sie sich, wie viele Kollegen, mit einem Augenzwinkern den Aufkleber „I love MSF“ aufs Shirt geklebt. Dieses Gefühl der Teilhabe an einer lebendigen Organisation und einem großen Ganzen überträgt sich auf die Spender, sagt sie. Und das bekommt man zurück.

Und mein persönliches Fazit? Meine Zeit in New York hat mir wieder gezeigt, wie sehr Fundraiser auf eine gute, lebendige Organisationskultur angewiesen sind. Der amerikanische Zweig von MSF scheint hier auf einem sehr guten Weg zu sein - soweit mein (natürlich nicht empirisch fundiertes) Ergebnis aus drei Monaten. Die Führung bietet Mitarbeitern echte Teilhabemöglichkeit an der Organisation. Es herrscht keine Angst davor, Probleme anzusprechen, sondern ein Grundvertrauen, dass Kritik zum Wohl von Ärzte ohne Grenzen geübt wird und alle an einem Strang ziehen. Transparenz ist nicht nur ein Wort, sondern wird als stetige Herausforderung wahrgenommen. Mitarbeiter können Kontakt zu allen Hierarchie-Ebenen haben. Es herrscht reger Austausch mit der Welt „da draußen“, was einer Selbstverliebtheit ohne kritische Reflexion entgegenwirkt.

Selbstverständlich transportieren Fundraiser diese Organisationskultur bei jedem Spenderkontakt nach außen. Spender spüren die Werte der Organisation – und teilen sie im besten Fall.

 

Constanze Kernbach ist Sozialwissenschaftlerin, Fundraiserin (FA) und seit mehreren Jahren für gemeinnützige Organisationen und Vereine aktiv. Ihr Schwerpunkt liegt in der strategischen Beratung zur Implementierung von Fundraising und der Umsetzung diverser Fundraising-Instrumente, u.a. Kampagnen zur Spendergewinnung. Nach Stationen in Aachen, Berlin, Köln und New York geht sie ab Herbst zum Masterstudium an die Uni Bonn. Engagierte Fundraiserin bleibt sie weiterhin.

 

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