„Unser Claim erhält plötzlich ein Gesicht“

Von Claudia Wohlert

Es liegt in der Natur des Menschen, Geschichten hören oder sehen zu wollen. Ob die Maler in der französischen Chauvet-Höhle vor etwa 35.000 Jahren, die Gebrüder Grimm Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Märchensammlung oder die Skaladanowskys 1895 in Berlin mit der ersten Kinovorstellung, immer wollten die Macher ihren Mitmenschen etwas erzählen und sie dabei gut unterhalten.

Heute nennt man die Geschichtenerzähler Storyteller. Das Fundraising hat sie mit offenen Armen begrüßt. Es reicht nicht mehr aus, dem Spender zu erzählen, wie großartig die Arbeit ist, die man macht. Kein Direct-Mailing geht mehr ohne Story raus. Keine Großspenderveranstaltung findet statt, ohne dass der Fundraiser die Geschichten der Betroffenen erzählt. Und es gibt keine Webseite, wo die Entstehung der NPO nicht in Form einer Geschichte beschrieben wird.

In einer Zeit, in der 79 Prozent der Erwachsenen und 63 Prozent der privaten Spender in Deutschland im Internet unterwegs sind, gerät das Medium Online-Video zum Geschichtenerzählen immer mehr in den Fokus der Organisationen. YouTube ist die zweitgrößte Suchmaschine nach Google. Wer dort nicht erzählt, wird nicht so leicht gefunden.

60 Prozent des weltweiten Datenverkehrs sind Videos

Kathrin AndersonKathrin Anderson dreht Videos für den Dritten Sektor.
© Kathrin Anderson
Filmemacherin Kathrin Anderson beschreibt die wichtige Rolle von Videos im Internet folgendermaßen: „Der Spendenmarkt ist hart umkämpft und jede Organisation muss für sich werben. Die Menschen informieren sich im Internet. Kein Mensch zweifelt mehr daran, dass jede Organisation eine Webseite mit einem Online-Spendenbutton braucht. Warum zögern noch so viele NPOs bei der Produktion eines Videos?

Videos machen heute 60 Prozent des weltweiten Datenverkehrs aus. YouTube wird immer wichtiger, auch für die Deutschen. Allein im Januar haben 45 Millionen Deutsche 7,5 Milliarden Videos angesehen. Wer die Generation Online, einschließlich der Senioren, erreichen will, sollte darüber nachdenken, ob der Spendenbrief noch das Mittel der Wahl ist oder ob nicht Spendenvideos viel wirksamer sind.

Aus Fundraising-Sicht ist ein Video super. Man muss zwar in der Strategie etwas umdenken, aber letztlich haben die Organisationen Geschichten zu erzählen und die Menschen haben Lust, sich Geschichten erzählen zu lassen. Der Spender möchte sich etwas zeigen lassen und emotional berührt werden.“

Bilder sind schöner, emotionaler und greifbarer als Texte

Rania von der RoppRania von der Ropp setzt seit Jahren Filme bei der ACHSE e.V. für das Fundraising ein. © Rania von der RoppDie Entscheidung für einen Film fiel den Fundraisern der ACHSE, Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, nicht schwer. „Bilder können unser Thema wunderbar transportieren. Unser Claim, den Seltenen eine Stimme zu geben, erhält plötzlich ein Gesicht. Durch unseren neuesten Image-Film (https://www.youtube.com/watch?v=6aYRPNxFrc8) entsteht ein Gefühl dafür, für welche Menschen wir uns einsetzen. Bilder stellen das viel schöner, emotionaler und greifbarer dar als Texte“, erklärt ACHSE-Fundraiserin Rania von der Ropp. „Insbesondere bei Spendenbenefiz-Aktionen setzen wir einen Film ein, um auf eine schnelle und emotionale Art und Weise den Spendern nahezubringen, warum es uns gibt. In dem Augenblick, wenn ich den Film zeige, findet eine große Berührbarkeit statt. Nach dem Film ist es im Saal ganz still und die Anwesenden wissen, unsere Arbeit ist sinnvoll, wichtig und unterstützenswert.“

Der Film dient aber nicht nur bei Großspendertreffen, sondern auch auf Veranstaltungen für Mitglieder und Fachpublikum zur Gesprächseinleitung. „Er befindet sich auch auf unserer Facebook-Seite. Dort werden Filme besser und schneller wahrgenommen als lange Texte. Kurz angeteasert: ,Wer noch nicht weiß, was die ACHSE macht, schaut sich bitte diesen Film an!‘, und der Aufruf: ,Bitte teilen!‘ reichen völlig aus. Einen Film, der anschaulich und emotional ist und gleichzeitig sensibilisiert, den teilt man gern mit Freunden, Texte weniger.“

Professionelles Fundraising braucht einen Imagefilm

Betreibt eine Organisation professionelles Fundraising, ist ein Imagefilm für von der Ropp unverzichtbar. „Die Betroffenen selbst sprechen zu lassen, Bilder zu haben und nicht alles in einer Textwüste erklären zu müssen, hilft.

Wird der Film nicht nur bei Veranstaltungen, sondern auch im Online-Fundraising eingesetzt, ist die Länge des Films wichtig. Unser Info-Film hat eine Länge von 4:50 Minuten und ist damit nicht unbedingt netzkompatibel. Eineinhalb Minuten wären perfekt fürs Netz.“

Die gemeinsame Zielplanung ist wichtig

Damit der Film die gewünschte Wirkung zeigt, ist für Anderson das Beisein der Filmerin beziehungsweise des Filmers schon bei der Zielplanung wichtig. „Als Filmemacherin muss ich analytisch denken. Ich bekomme den Auftrag, setze mich hin und überlege: Welche Zielgruppe ist gemeint? Welche Verbreitungswege gibt es? Welche Kernbotschaften soll der Film haben und so weiter? Gerade bei kleineren Organisationen sehe ich oft das Problem der genauen Zielplanung. Sie denken häufig in kleinen Projekten und möchten ein Video dazu.

Meiner Meinung nach wäre es viel sinnvoller, wenn die Organisation alle kreativen Köpfe zusammenholt, um ein Projekt zu planen, damit ein stimmiges Ganzes entsteht. Meistens wird separat gedacht: Es wird ein Projekt geplant und dann wie das Fundraising ablaufen soll, was in Social Media läuft und was die Public Relations macht. Würden alle von Anfang an zusammen an einem Tisch sitzen und planen, wüsste man genau, wer welche Ideen aus seinem Bereich zusteuern kann.“

Rania von der Ropp könnte sich auch vorstellen, dass eine Organisation mit kleinem Budget ihren Film selbst dreht. „Gibt es unter den Ehrenamtlichen Menschen, die Videokompetenz mitbringen, würde ich es auf jeden Fall ausprobieren. Um Einblicke in die Arbeit zu vermitteln, wäre es sinnvoll. Der Vermerk, dass der Film nicht professionell gedreht wurde, erklärt den Zuschauern das Format.“

Für welchen Fundraising-Mix eine Organisation sich auch entscheidet, der Erfolg von Filmen ist im Zeitalter des Internets nicht mehr zu stoppen. Komplexe Sachverhalte werden für jeden verständlich in einer emotionalen Rahmenhandlung erklärt. Man erreicht selbst Menschen, die ungern lesen beziehungsweise eine Leseschwäche haben. Der Imagefilm mit Vision, Mission sowie den Zielen der NPO ist eine Investition, die dauerhaft wirkt.

 

Die Gespräche mit Kathrin Anderson und Rania von der Ropp führte Claudia Wohlert, freie Journalistin und Fundraising-Managerin (FA), textagentur@claudia-wohlert.com, www.claudia-wohlert.com.

 

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