Warum spenden Menschen?

Von Dr. Christoph Müllerleile

Dr. Christoph MüllerleileDr. Christoph MüllerleileDie Frage, warum Menschen eigentlich spenden, bewegt Fundraiserinnen und Fundraiser jeden Tag. Die Antwort darauf suchen sie eigentlich nicht in Büchern, sondern in ihren eigenen Erfahrungen, im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, bei der Ausbildung an der Fundraising Akademie oder einfach aufs Geratewohl. Unsystematisches Fundraising kann für jede Organisation eine ziemlich teure Angelegenheit werden und auch Jobs kosten.
 
Deshalb lohnt es sich, gerade auf dem Sektor Spender-Motivation Gedanken von außen, gerne auch von der Wissenschaft, aufzunehmen. Umso besser, wenn die Wissenschaftler dann auch noch Praktiker des Fundraisings sind. Das ist, zumindest in Deutschland, ganz selten.
 
In meiner letzten Kolumne an dieser Stelle habe ich auf das wertvolle Werk „Warum Menschen spenden“ von Kai Fischer hingewiesen, eine Dissertation, die jüngst als Buch erschienen ist. Wissenschaftliche Arbeiten von Praktikern haben den Vorteil, dass sie meist leicht lesbar sind und Fundraising nicht neu erfinden wollen, sondern mittendrin beginnen. Kurz gesagt, die wissenschaftliche Annäherung an das eigentliche Thema gelingt viel schneller.
 
Kai Fischer ist im Fundraising ein alter Hase, der sich als Berater vor allem um kleine und mittlere Organisationen kümmert und auch innerhalb des Berufsverbands aktiv ist, besonders im Bereich ethischer Fragen. Deshalb nimmt man ihm auch Begriffe wie das „Inszenieren“ von Fundraising nicht übel, was bei anderen wie das Schaffen von Illusionen klingen würde.
 
Wichtigste Erkenntnis aus der Arbeit ist, dass es keine eindimensionalen Erklärungen für das Spenderverhalten gibt, sondern immer ein Bündel von Motiven zu berücksichtigen ist, die durch direkte Spender-Befragungen kaum herauszufinden sind, eher schon durch teilnehmende Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens. Daraus lassen sich relativ leicht „Gebe-Logiken“ entwickeln, die sich bei jedem Spendenzweck, bei jeder spendensammelnden Gruppierung anders darstellen.
 
Die einfachste Gebe-Logik ist die des reziproken Verhaltens, das heißt jemand gibt einem anderen etwas und erwartet dafür eine Gegengabe. Daraus entstehen Beziehungen, Freundschaften, Netzwerke und Abhängigkeiten, aus nichterwiderten Gaben Entfremdung bis hin zur Feindschaft. Wenn keine materielle Gegengabe zu erwarten ist, dann tun es auch offen gezeigte Dankbarkeit, Glücksgefühle, erweiterte Reputation, Machtzuwachs, Inklusion in exklusive Gebe-Zirkel. Kai Fischer hat mehrere Gebe-Logiken als soziale Basis des Spendens beschrieben: die Solidarität mit Dritten in Not, die Bildung von Assoziationen und sozialen Bewegungen, wie sie zum Beispiel bei Spenden für politische Zwecke entstehen, die Transformation von Sozialkapital, die in Form von Anlass-Spenden und beim reziproken Spendenverhalten von Alumni sichtbar wird, die Konstitution sozialer Eliten bei hochpreisigen Spendenanlässen, das Spenden zur Optimierung eigener Interessen, wie etwa die Gewinnung von Reputation und Ansehen bis hin zur Vorteilsnahme und Korruption. Einen Sonderfall bildet die Gabe als Investment mit kalkulierter Renditeerwartung.
 
Solche Gebe-Logiken können im Grunde genommen für alle Formen des Gebens entwickelt werden, wobei sich der Autor in erster Linie den finanziellen Transaktionen widmet. Auch Zeit-, Sach- und Know-how-Spenden folgen bestimmten Logiken, die sich anhand der von Fischer vorgegebenen Erkenntnisse gut entwickeln lassen. Missverstandene Gebe-Logiken führen zu Enttäuschungen und Spendenverlust, von Fischer schön mit dem Wort „Crowding out“ beschrieben. Anhand der Gebe-Logiken von Fischer lässt sich nämlich auch die Frage beantworten, warum Menschen, die Sympathie für eine gute Sache empfinden, nicht spenden, obwohl die Ressourcen dafür vorhanden wären.
 
Anhand der Gebe-Logik lässt sich Fundraising „inszenieren“. Das Wort verliert seinen Schrecken, wenn man es in die Methoden und Mittel auflöst, die erforderlich sind, um aus der Theorie in der Praxis maximalen Non-Profit zu erzielen.

 

Dr. Christoph Müllerleile ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: info@fundraising-buero.de

 

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